Der Himmel über New York (German Edition)
aufziehen.
»So, mein Freund«, sagt er schließlich leise, »jetzt hör mir mal gut zu. Was hier privat ist und was politisch, das ist ja wohl immer noch meine Entscheidung. Als Künstler. Verstehst du, was ich sage?«
Der Typ im roten Hemd weicht einen Schritt zurück.
»Hey, Mann, nimm das doch nicht so persönlich!«
»Das ist persönlich. Jedes meiner Gedichte ist persönlich. Alles ist persönlich. Auch Politik. Denk da mal drüber nach.«
Der andere öffnet den Mund, schließt ihn wieder, sieht aus wie ein Fisch, der nach Luft schnappt. Schließlich ringt er sich doch noch dazu durch, etwas zu sagen. »Kumpel«, sein Ton ist beinahe flehend, »du hast doch nicht vergessen, was sie Rick angetan haben?«
Leroy sieht ihn böse an. Er atmet heftig. Als er zu sprechen beginnt, ist seine Stimme zu einem gefährlichen Flüstern geworden. Er betont jedes Wort.
»Weißt du eigentlich, wie oft ich an Rick denke? Weißt du eigentlich, dass mir diese Bilder nie mehr aus dem Kopf gehen? Vierundzwanzig Stunden pro Tag, sieben Tage in der Woche? Weißt du das eigentlich?«
Eingeschüchtert schüttelt der andere den Kopf und hält sich an einer Stuhllehne fest.
»Na eben. Dann misch dich nicht mehr in meine Familienangelegenheiten ein.«
Der Latino macht eine besänftigende Geste. »Ist ja gut. Ist schon gut, Mann.«
Als er sich abwendet, spannen sich für einen Moment Leroys Muskeln an, als wolle er aufspringen und ihm hinterhergehen, dann überlegt er es sich anders. Er spitzt die Lippen und lässt Luft entweichen wie ein Sportler nach einer großen Anstrengung, dann schüttelt er sich leicht.
Ich kann nicht glauben, was ich da gerade gesehen habe. Als hätte er sich vor meinen Augen in einen anderen verwandelt. Und wieder zurück.
Schließlich wendet er sich wieder mir zu. »Hör mal«, sagt er dann im Plauderton und legt seine Hand neben meiner auf der Tischplatte ab, »wenn du dich für Gedichte interessierst: Übermorgen Mittag um zwei treffen wir uns im Bryant Park hinter der Public Library zu einer öffentlichen Lesung. Geena Bartoli wird dabei sein. Die hat gerade den Literaturpreis der Black Poets’ Association gewonnen. Und ich trete auch auf.«
Seine Stimme ist wieder weicher geworden. Und nicht mehr so gefährlich leise.
Ich drehe eine Haarlocke um meinen Zeigefinger und wende meinen Blick ab. Zu viel auf einmal geht durch meinen Kopf. Sein Wutanfall von gerade eben. Und seine Worte danach. Wer ist wohl Rick? Und, mindestens genauso wichtig: Hat Leroy jetzt eine bedeutungsschwangere Pause vor seinem letzten Satz gemacht. Oder kam es mir nur so vor?
Ich trete auch auf.
Will er mich sehen, sich mit mir verabreden? Oder ist er nur höflich, weil ich mich für Gedichte interessiere?
»Lass mich überlegen, übermorgen?«
Conny hat mich gewarnt. Gestern Abend. »Wenn dich ein Junge um ein Date bittet, sag bloß nicht sofort Ja. Auch wenn du darauf gewartet hast. Dann erst recht nicht!«
»Jenny? Wenn es dir übermorgen nicht passt, es geht auch am Wochenende. Wir könnten miteinander essen gehen.«
Es geht ihm also nicht nur um Gedichte, es geht ihm wirklich um ein Date.
Vorhin, als ich ihn auf der Bühne sah, habe ich mir nichts mehr gewünscht als das hier. Dass er kommen würde und mich um meine Nummer bitten. Oder sogar um ein Treffen. Jetzt ist da plötzlich ein leiser Zweifel. Als ich Leroy gerade eben so wütend gesehen habe, da hat er mir beinahe Angst gemacht.
Und gleichzeitig hat es mir imponiert, mit welcher Leidenschaft er sich gewehrt hat. Auch wenn ich nicht verstanden habe, worum es eigentlich ging.
»Doch«, sage ich langsam, »doch, das passt. Aber ruf mich sicherheitshalber noch mal an. Ich gebe dir mal meine Nummer.«
Während Leroy Ziffern in sein Handy tippt und ich diktiere, sehe ich aus den Augenwinkeln, wie die Frau mit den Rastalocken unseren Tisch ansteuert. Sie beugt sich über Leroy. Dann umarmt sie ihn von hinten. Leroy lächelt und tätschelt mit der freien Hand ihren Unterarm, der über seiner Brust liegt.
»Hello, big boy!«
Leroy wendet sich halb zu ihr um und lächelt. »Benny war eben hier. Hat mir einen Vortrag gehalten über politische Kunst.«
»Nichtskönner«, sagt sie abfällig.
Dann küsst sie ihn. Direkt neben seinen Mundwinkel.
7.
E s ist so weit. Es ist offiziell. Ich sehe Gespenster.
Es hat schon in den Tagen vor dem Poetry Slam angefangen und jetzt wird es immer schlimmer. Dabei müsste ich es eigentlich besser wissen, spätestens seit
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