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Der Himmel über New York (German Edition)

Der Himmel über New York (German Edition)

Titel: Der Himmel über New York (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Carl
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dem Beinahe-Kuss der Rasta-Lady. Leroy ist total unerreichbar, und das ist auch gut so.
    Nützt aber trotzdem nichts. Ich bin …
    Verdammt. Das geht doch nicht. Ich kann mich doch nicht einfach verlieben. Ich kenne diesen Menschen ja kaum. Ich kenne ihn weniger als kaum.
    Und trotzdem. Bei jedem Café, an dem ich vorbeikomme, stelle ich mir vor, wie Leroy und ich gemeinsam am Tresen stehen. Bei jedem T-Shirt in einem Schaufenster frage ich mich, wie es ihm stehen würde. Es passiert überall, egal, ob ich durch die immergleichen Straßenzüge von Queens zur U-Bahn laufe oder wie jetzt durch die baumgesäumten Straßen von Greenwich Village spaziere.
    Gerade in diesem Moment tritt auf der anderen Straßenseite ein Mann mit Rastalocken aus einer Eingangstür und mir stockt der Atem, als sei ich eine Figur aus einem schlechten Roman. Dabei ist es unmöglich, ihn mit Leroy zu verwechseln. Der Typ ist erstens viel kleiner. Zweitens weiß. Und drittens sind seine verfilzten Haare blond.
    Ich blicke dem Blonden nach, bis er um die Ecke der Bleecker Street biegt, und dann sehe ich das Schild. Es hängt über der Tür, aus der er soeben getreten ist, handgemalte, ausgeblichene Buchstaben auf Holz. Madame Lucy, Tarot & Palm Reading .
    Ein Zeichen?
    Definitiv. Ein Zeichen.
    Diese Wahrsagerin werde ich jetzt fragen, wie es weitergeht mit mir. Und mit Leroy?

    Vor dem Eintreten zögere ich noch kurz. Im Schaufenster des Ladengeschäfts klebt eine Preisliste, ähnlich wie beim Friseur. Nur, dass es hier nicht um Strähnchen und Dauerwellen geht. Eine kurze Tarotkartensitzung kostet 5 Dollar, Handlesen 15 Dollar, ein persönliches Horoskop 75 Dollar. Der Raum hinter der Scheibe ist zu dunkel, als dass man von der Straße aus viel erkennen könnte. Nur die Katze kann ich sehen, die auf der Heizung liegt und ihr getigertes Fell ans Fenster presst.
    Beim Eintreten bimmelt ein asiatisches Tempelglöckchen und ein schwerer Geruch nach Räucherstäbchen liegt in der Luft und noch ein anderer, unangenehmer, den ich aber nicht einordnen kann. Madame Lucy sitzt auf einem abgewetzten Plüschsessel in der Ecke.
    »Gut, dass du gekommen bist«, sagt sie, als hätte sie mich erwartet. Wer weiß, vielleicht hat sie das sogar. Schließlich sollte ein Medium ohne Mühe voraussehen können, wer im nächsten Moment seinen Laden betritt. Oder?
    Sie steht auf und reicht mir eine weiche, kleine Hand. Ihre Haare hat sie zu einem blonden Pferdeschwanz zusammengefasst, ihre Nase ist spitz. Natürlich ist mir klar, dass moderne Hexen keine Warzen auf dem Kinn und keine Raben auf der Schulter tragen. Aber ich hätte nicht gedacht, dass sie aussehen wie Verkäuferinnen in einem Ramschkaufhaus. Auf ihrer Schulter glänzt ein feuchter Fleck, als hätte sie vorhin noch ein sabberndes Baby auf dem Arm gehalten.
    Jetzt weiß ich auch, wonach es hier riecht. Nicht nur nach Patschuli, auch nach säuerlicher Milch.
    Sie zieht die nachtblauen Vorhänge zur Straße zu und zündet eine Duftkerze an. Auch das noch. Gleich wird mir übel. Aber jetzt kann ich nicht mehr zurück. Außerdem bin ich neugierig.
    Schließlich nimmt sie wieder auf dem Plüschsessel hinter einem Bistrotisch Platz, kreuzt die nackten Füße und bietet mir einen Stuhl gegenüber an.
    »Ich hätte gern einmal die Tarotkarten«, sage ich und unterdrücke ein Kichern. Klingt wie Einmal waschen und legen, bitte.
    Madame Lucy nickt. »Eine gute Wahl.«
    Sie greift nach einem Kartenset und mischt mit der linken Hand. Im Wandregal kann ich im Halbdunkel Kristalle in allen möglichen Größen und Farben erkennen. Auf der obersten Ablage thront ein kleiner goldener Buddha und grinst selbstvergessen.
    Ich warte darauf, dass ich ihr eine Frage stellen soll. Aber sie schweigt konzentriert und knetet die Karten jetzt mit beiden Händen und gespreizten Fingern. Dann schließt sie die Augen und zieht die erste. Ich habe ihr nichts von mir erzählt.
    Sie deckt die Karte auf. Ein Ritter in Rüstung sitzt mit gezücktem Schwert auf seinem Pferd.
    »In deinem Leben stehen große Entscheidungen bevor«, sagt sie. »Du bist nach New York gekommen, um etwas zu suchen. Das ist ein Denkfehler. Suchen hat keinen Sinn. Du kannst nur gefunden werden.«
    Ich bin aufgeregt und enttäuscht zugleich. Hat sie an meinem deutschen Akzent erkannt, dass ich nicht von hier bin? Dass sie eine Karte mit meinem Nachnamen gezogen hat, merkt sie jedenfalls nicht. Und ich werde sie sicher nicht darauf hinweisen. Außerdem sind alle Leute

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