Der Himmel über New York (German Edition)
im Latin in Manhattan die Bluse zerwühlt? So genau nimmt sie es wohl auch nicht mit der Dating-Etikette.
Später werde ich meinen Vater bei der Arbeit anrufen. Einfach so. Nicht, weil ich ihm von Leroy erzählen will, eher im Gegenteil. Er muss noch nicht wissen, dass ich mich verliebt habe. Je häufiger ich mich melde, desto weniger schöpft er Verdacht. Hoffe ich jedenfalls.
Und dann kommt noch das Schwerste.
Max.
Vielleicht habe ich Glück und er hat sein Handy ausgeschaltet. Hat er ja manchmal, im Büro. Es wäre so leicht, ihm die Mailbox vollzutexten, mit ein paar Gründen, ein paar Vorwürfen, ein paar Entschuldigungen. Reinen Tisch machen, ein für alle Mal.
Oder eine SMS schicken? »Es ist aus«?
Es wäre einfach. Und es wäre unverzeihlich. Ich könnte ihm nie wieder unter die Augen treten. Schwierig in einer Stadt wie Freiburg, in der man an jedem Samstag in der Fußgängerzone sämtlichen Menschen aus dem eigenen Adressbuch begegnet.
Andererseits, vielleicht komme ich ja gar nicht zurück.
Oder wenigstens nicht so schnell.
Vor dem U-Bahn-Ausgang an der Roosevelt Avenue sitzt ein Bettler mit einem Hund. Der Hund liegt apathisch auf einem Stück Zeitungspapier, zu matt, um die Fliegen in seinen Augenwinkeln zu verscheuchen. Sonnenstrahlen fallen durch das Gitter der Bahnbrücke und zeichnen ein Gitternetz auf das verfilzte Fell. Neben seinem Herrchen steht ein leerer Pappbecher mit einem dunkelroten Lippenstiftabdruck. Darin liegen ein paar einsame Münzen. An den Wänden des Bechers klebt eingetrockneter Milchschaum. Ich habe noch nie etwas gegeben, auch nicht den singenden Schnorrern in der Subway. Aber er erinnert mich an den Bettler von gestern, der Leroys Chicken Kabul aufgegessen hat. Es wird Glück bringen, wenn ich ein paar Dollarnoten opfere. Und gutes Karma.
Der Bettler hebt den Kopf, als ich mich über den Pappbecher beuge und das abgegriffene grüne Papier hineinstopfe. Es fühlt sich weich an, wie Baumwolle.
»God bless you!«
Schon wieder ein Segen.
An der nächsten Straßenecke steht ein öffentliches Telefon, und während ich mich frage, wer eigentlich in New York noch solche Apparate benutzt, merke ich plötzlich, dass ich meine schwerste Aufgabe hinter mich bringen muss. Auf der Stelle, sofort, weil mir nachher der Mut schon wieder fehlen wird. Ich lehne mich an die erhitzte Plexiglaswand des Unterstandes mit der altmodischen Fernsprechersäule und suche mit zittrigen Händen nach Max’ Namen in meinem Handy-Adressverzeichnis.
Max mobil …
Festnetz. Das ist es. Die humane Lösung. Zu Hause ist Max jetzt mit Sicherheit nicht. Und Anrufbeantworter, das ist nicht so anonym wie Handy-Mailbox und nicht so kaltherzig wie eine SMS.
Oder vielleicht doch?
Sehr, sehr weit weg von mir, in einer Einzimmerwohnung im Freiburger Osten, bimmelt jetzt ein Telefon in seiner Ladestation vor sich hin. Bimmelt einmal, zweimal, dreimal, und …
»Ja, hallo?«
Scheiße.
»Hi. Was machst du denn zu Hause um diese Zeit?«
Meine Stimme klingt mindestens drei Töne zu hoch. »Sommergrippe. Die halbe Abteilung hat’s erwischt.« Ich atme tief durch und versuche es in einer tieferen Lage. Jetzt kann ich nicht mehr zurück, jetzt zieh ich es durch.
»Hast du meine E-Mail gekriegt?«
»Mhm.«
»Ja, und? Ich meine, was sagst du? Was denkst du darüber?«
»Ist ja wohl viel los bei dir.«
Er macht es mir nicht leicht. »Doch, auf jeden Fall. Ich war gestern bei einer Dichterlesung.«
»Eine Dichterlesung? Ich dachte, du hängst in Clubs rum.«
Im gleichen Moment höre ich im Hintergrund den Klingelton seines Handys. Natürlich irgendein obskurer Hit aus den 80ern, den kein Mensch kennt.
»Wart mal«, sagt Max, und ich kann hören, wie er mit jemand anders telefoniert. »Oh ja«, sagt er, und »heute Abend« und »ja, geht mir schon viel besser«, beinahe enthusiastisch klingt er. Und dann, während ich hier so stehe in der New Yorker Morgenhitze, fällt es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen und ich muss vor Erleichterung beinahe laut lachen.
Das ist es! Deshalb hab ich in den letzten Tagen so wenig von ihm gehört! Max hat auch eine andere kennengelernt! Max hat eine Affäre. Oder von mir aus einen One-Night-Stand. Oder meinetwegen gleich eine neue Freundin. Deshalb unterbricht er unser wichtiges Gespräch, deshalb klingt er plötzlich so gelöst, so muss es sein.
»Jenny? Sorry, musste nur kurz etwas klären!«
»Max? Sag mal … geht es dir eigentlich gut? Ich meine, gibt es
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