Der Himmel über New York (German Edition)
da?«
»Musik. Mit deinen und meinen Beinen.«
Ich drehe mich auf den Bauch. Stütze mich auf den rechten Ellenbogen und fahre mit einem Finger über seine Brust. Dann tiefer. Durch den Stoff seines T-Shirts kann ich die Härchen spüren, eine breite Spur, die sich nach unten verengt.
Er greift nach meinem Handgelenk und hält es fest. Ich bin auf seine plötzliche Bewegung nicht vorbereitet, sodass ich das Gleichgewicht verliere und auf ihn falle.
Er hat mich im Griff. Hält mich und dreht mich beinahe grob auf den Rücken. Richtet sich auf die Knie auf und beugt sich über mich, bis seine Filzlocken meine Stirn berühren. Dann kommt sein Gesicht auf mich zu, bis es so nah vor meinem ist, dass es verschwimmt.
Ich muss an Madame Lucy denken. Madame Lucy und die Narrenkarte. Surrender ist ein schönes Wort. So weich.
»Jetzt hast du nur noch ein Auge«, sage ich zu Leroy.
Er fährt mit seiner Hand unter mein Shirt. Legt eine Hand auf meinen Bauch. Spreizt seine Finger.
»I want to make love to you« , antwortet er.
Diese unglaubliche Stimme.
Ich dachte, diesen Satz gibt es nur im Film.
12.
Wenn du mich willst
Trag Backstein und nichts drunter
Dann schmücke dich mit Feuerleitern
Blas mir heiße Atemluft
Aus Hunderten von Gitterrachen ins Gesicht
I ch richte mich auf, das Ende meines Kugelschreibers im Mund. Gerade habe ich die ersten Zeilen wieder in meinem Notizbuch entdeckt. Heute Morgen fließen die Worte wie von selbst. Mir gegenüber auf der grauen U-Bahn-Bank sitzt eine dicke Frau. Ich sehe durch sie hindurch und nehme sie doch wahr. Wie ein einzelnes Fernsehbild beim Durchzappen. Die Strass-Steinchen auf ihrem T-Shirt funkeln.
Ich habe keine Angst mehr, Anne zu treffen. Es ist mir völlig egal, was sie von mir denkt. Ich werde jetzt sowieso nicht mehr so oft in Queens sein. Sie kann von mir aus die Wand anmeckern. Ich bin kein Kind mehr, das sollte sie endlich begreifen.
Dann schmücke dich mit Feuerleitern . Vor einer Stunde stand ich an Leroys Fenster und sah auf die Straße, die eisengeschmückten Fassaden gegenüber. Sie sahen aus wie frisch geduscht: Tautropfen auf den Blättern der Alleebäume, so grün, wie sie nur im Juni sein können. Mein hörbarer Atem und das leicht beschlagene Fenster, als hätte ich nach dieser Nacht noch ein Zeichen dafür gebraucht, dass ich lebe. Ich trinke jede Sekunde, genieße jede Minute, plötzlich sind sie alle am richtigen Platz. Nichts mehr, worauf ich warten müsste. Alles gehört mir.
Leroy tanzte den ganzen Morgen um mich herum, mit seinem Fahrradkurier-Rucksack und den gepolsterten Sportschuhen. Leroy, fertig zum Gehen, der sich nicht von mir trennen mochte. Leroy, der mich von hinten umarmte, mir seine Hände auf den Bauch legte wie gestern Nacht, mir einen Kuss hinter das Ohr gab.
Später kam Amy aus ihrem Zimmer, stand auf dem Flur wie ein kleines Mädchen: x-beinig, in einem hellen Trägerhemdchen. Sie wischte sich mit zwei Fäusten den Schlaf aus den Augen, bevor sie mich bemerkte. Dann nickte sie mir wie selbstverständlich zu und schlurfte in die Küche. Mit einem Saftglas kam sie wieder heraus und fläzte sich auf eines der Sofas in der Diele. Sie trank in kleinen Schlucken und musterte dabei ihre Zehen. Lange Zehen mit rosa lackierten Nägeln, die kleinen ziemlich krumm.
Amy, unsere erste Zeugin. Die Erste, die mich aus Leroys Schlafzimmer hat kommen sehen.
Ich versuchte, in ihrem Gesicht zu lesen. Ob es ein gewohnter Anblick war, Leroy, der morgens nicht allein aus seinem Zimmer kommt. Aber es war, als sprächen ihre Augen eine Fremdsprache.
Ich kann es kaum erwarten, Conny zu treffen. Conny, meine einzige Freundin in New York. Ich werde mich zu ihr in die Küche stellen, sogar eine Tasse Spülwasserkaffee mit ihr trinken. Ich werde keine Worte brauchen. Sie wird mir ansehen, was geschehen ist. Ich glühe wie ein Stück Holzkohle auf dem Lagerfeuer.
Vielleicht wird sie mit mir schimpfen, weil sie mir noch gestern Nachmittag eingebläut hat, dass ich auf keinen Fall Ja sagen darf. Dann hat sie mir die amerikanischen Dating-Regeln noch einmal erklärt, geduldig wie eine Nachhilfelehrerin. Es gibt einen genauen Fahrplan. Küssen darf man sich erst beim dritten Date. Frauen, die vor dem fünften Date mit einem Mann ins Bett gehen, sind Flittchen. Dass ich eigentlich einen Freund habe, das hat in ihrer Rechnung keine Rolle gespielt.
Leroy ist ein Dichter, er spielt nach seinen eigenen Regeln. Und außerdem, wer hat ihr denn neulich
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