Der Himmel über New York (German Edition)
als gespitzte Lippen, die leer ausgehen.
So landet sein Mund an meinem Ohrläppchen.
»Was war das denn?«, fragt er.
Er nimmt mein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger.
»Das ist keine richtige Begrüßung. Hab ich Mundgeruch, oder was?«
Ich schüttle den Kopf, so gut das in seinem Griff geht, und dann sinken seine Lippen in meine. Mein Herz pocht so laut, dass sich die Leute am Nebentisch gleich umdrehen werden.
Falls er meine Aufregung spürt, lässt er es sich nicht anmerken. Oder es schmeichelt ihm. Er setzt sich, rutscht an die Stuhlkante und streckt das rechte Bein aus, bis unsere Knie sich berühren. Dann verschränkt er die Arme über dem Bauch und atmet durch.
»Sei nicht böse, dass ich so spät bin. Die Afghanen sind schuld.«
»Afghanen?«
Ich bin nicht sicher, ob ich das Wort richtig verstanden habe. In den letzten Wochen bin ich in die englischen Worte und Sätze geschlüpft wie in bequeme Shorts und Schlappen, verblüffend, wie schnell ich dazulerne. Aber bei Leroy habe ich Angst vor Missverständnissen. Und das liegt nicht nur an der fremden Sprache.
»Afghanen. So wie die Bewohner von Afghanistan.«
Ich nicke, als wäre damit alles klar. Auf keinen Fall will ich mir eine Blöße geben und eine dumme Frage stellen.
»Ich sollte ein Gewürzpäckchen von Midtown ins East Village bringen«, erklärt er, »aber ich hatte keine genaue Adresse. Auf dem Umschlag stand nur, dass die Lieferung für ein afghanisches Restaurant ist. 14 th Street, ich glaube, zwischen den Avenues sechs und sieben.«
»Und da gab es keins?«
»Das ist ja der Witz. Es gab nicht nur eins, sondern vier nebeneinander. Und natürlich war ich erst in den drei falschen.«
»Und dann?«
»Im vierten habe ich dann das hier bekommen. Geschenk vom Koch.«
Leroy kramt in seinem Rucksack und stellt eine zerknitterte Aluschale mit fettigem Rand auf den Tisch. »Chicken Kabul oder so ähnlich. Hast du Hunger?«
Ich schüttle den Kopf. Seit heute Morgen habe ich nichts mehr herunterbekommen. Aber das geht ihn nichts an. Auch, dass ich nicht mehr schlafen kann, weil ich immerzu an seine Hände denken muss.
Leroy packt die Schale wieder ein. Seine Finger glänzen fettig.
»Hast du schon gezahlt?«
Ich krame nach dem Portemonnaie. Leroy gibt mir einen leichten Klaps auf die Hand.
»No way! Kommt gar nicht infrage!« Er gräbt in seiner Hosentasche, wirft mit links ein paar Dollar auf den Tisch und steht auf.
»Komm!«
Leroy zieht mich hoch. So bleiben wir voreinander stehen, während er mich von Kopf bis Fuß mustert. Als müsste er sich jeden Zentimeter meines Körpers einprägen, als müsste er mich später aus dem Gedächtnis zeichnen. So hat mich noch kein Mann angeschaut. Er lässt seinen linken Zeigefinger über meinen Bauch gleiten bis zu meinem Nabel und weiter über den Bund meines Rockes. Dabei schnalzt er mit der Zunge.
»Jenny, du siehst einfach scharf aus heute! Da muss ich ja aufpassen, dass dich niemand stiehlt!«
Auch draußen herrscht ein Klima wie im Gewächshaus. Zwei alte Männer sitzen in Rollstühlen auf dem Grünstreifen, als hätte man sie zum Lüften rausgestellt und dort vergessen. Sie unterhalten sich in einer fremden Sprache. In den Hauseingängen hocken Männer mit braunen Papiertüten in tätowierten Händen und trinken verstohlen aus den Bierflaschen darin.
Eine Seitenstraße ist für ein Fest abgesperrt. Es riecht nach gebratenem Fleisch. Grauhaarige Frauen wiegen sich paarweise im Takt einer schwermütigen, slawischen Musik, die aus altersschwachen Lautsprechern scheppert. Am Straßenrand kauert ein weißbärtiger Bettler und nagt an einem trockenen Stück Bagel.
Leroy bleibt stehen und kramt in seinem Rucksack. »Entschuldigung, hättest du gerne eine Portion Hähnchen? Ist nur noch halb, aber sehr lecker.«
Der Alte sieht auf, Krümel in seinem Bart. »Mann, willst du mich verarschen?«
»Ich kenn dich«, sagt Leroy.
»Wie das?«
»Wer kennt dich nicht? Du bist doch immer in allen U-Bahnen gleichzeitig. Ständig fährst du durch die Stadt und fragst die Leute nach ein paar Vierteldollars.«
Er lächelt gewinnend und der Alte beginnt zu kichern. Ein dünner Speichelfaden spannt sich in seinem Mundwinkel, als er zu reden beginnt.
»Klar, Mann. Aber immer nur in Express Trains .«
»Wieso das?«
»Freundchen, die brauchen mindestens fünf Minuten zwischen zwei Stopps, das gibt mir Zeit. In Local Trains steigen die Leute häufiger ein und aus und tun so, als wär ich gar nicht da.
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