Der Himmel über New York (German Edition)
Mann sitzt auf einer weiß lackierten Bank im Schatten eines Baumes. Trotz der Hitze trägt er ein kariertes Hemd, einen Strickpullover und ein Jackett.
Bob steuert die Bank daneben an und setzt sich.
Nach einer Weile frage ich: »Ist das nicht schlimm, ausgerechnet in New York ein kaputtes Bein zu haben?«
»Weil hier alles so schnell geht, meinst du? Klar ist das frustrierend. Aber wenn man nicht so durchs Leben hetzt, dann sieht man auch mehr.«
Aus einem Lüftungsschacht auf der Kreuzung quillt Dampf. Ein riesiger, rostiger Wasserturm wirft einen Schatten auf das Dach eines Hauses. Ein Taxi fährt vorbei. Der Fahrer trägt einen Vollbart und einen weißen Turban. Ich glaube, ich weiß, was Bob meint. Sein Blick wandert an mir runter, bleibt an meinem neuen Rock hängen.
»Was magst du eigentlich an dieser Stadt besonders gern?«, frage ich.
»Die schönen Frauen«, sagt er und grinst ein wenig anzüglich.
Ich schlage meine Beine übereinander. Es ist mir unangenehm, wenn er mir Komplimente macht. Schließlich ist er Leroys Freund. Und etwa so alt wie mein Vater.
»Keine Sorge«, sagt er, als er meine abweisende Miene sieht, »ich hab nur einen Witz gemacht. Wenn du es wirklich wissen willst, eigentlich ist es diese Energie. Bei aller Härte, aller Ungerechtigkeit. Diese Lebenskraft. Wie diese verletzte Stadt immer wieder aufsteht. Erinnerst du dich an die Anschläge vom 11. September? Die Flugzeuge, die ins World Trade Center gesteuert wurden?«
»Ich war ja noch klein«, sage ich entschuldigend.
»Es wird dich vielleicht wundern«, sagt er, »aber die Wochen danach, das war die Zeit, in der ich New York am allermeisten geliebt habe. Weil wir alle so zusammengerückt sind. Weil diese Nichtigkeiten plötzlich keine Rolle spielten, wie Hautfarbe oder Alter oder was du auf dem Lohnzettel hast. Die Leute haben buchstäblich Schlange gestanden, um anderen etwas Gutes zu tun. Da war plötzlich diese enorme Welle von Hilfsbereitschaft, von Mitmenschlichkeit. Schade nur, dass die so verebbt ist.«
»Wie meinst du das?«
»Damals haben alle immer gesagt, New York wird nie wieder so sein, wie es einmal war. Dabei ist New York mittlerweile exakt wieder so schnell und kalt und hart wie in der Zeit vor den Anschlägen. Nur noch paranoider als früher.«
Er schüttelt den Kopf, beunruhigt, so wie ein Vater, der sich um seine rebellische Teenagertochter sorgt. Ich bin sicher, mein Vater schaut genau so drein, wenn er in diesen Tagen mit Mama über mich redet.
»Dein Knie«, wechsle ich das Thema, »was ist damit eigentlich passiert? Leroy hat erzählt, es war ein Unfall.«
»Kann man so sagen. Auf jeden Fall wollte sie mich nicht verletzen. Auch wenn sie mir andererseits wahrscheinlich den Tod an den Hals gewünscht hat.«
»Wer, sie?«
»Ich habe dir doch von der Frau erzählt, mit der ich zusammengelebt habe, damals, vor vielen Jahren in Soho«, sagt Bob, verschränkt die Arme hinter seinem Kopf und blinzelt gegen das Sonnenlicht. »Eines Morgens haben wir uns auf dem Treppenabsatz gestritten. Das war ein Fehler.«
»Habt ihr etwa richtig gekämpft?«
»Sie hat mich nicht absichtlich gestoßen, es ist nur so passiert, im Eifer des Gefechts. Aber ich bin die ganzen Stufen hinuntergefallen und mit dem Knie gegen eine Steinkante geprallt. Ich wusste sofort, dass es gebrochen war. Das Splittern habe ich heute noch im Ohr. Wenn ich eine gute Krankenversicherung und genügend Geld für einen Arzt gehabt hätte, dann hätten sie mich vielleicht wieder zusammenflicken können. Aber so war ich bei einem Chinesen in der Mulberry Street, der Behandlungen zum Discountpreis angeboten hat. Ich glaube, der war eher Tierarzt als Chirurg. Sie hat mich nur bis ins Wartezimmer gebracht. Weil sie es mir schuldig war, hat sie gesagt. Dann ist sie gegangen, ohne abzuwarten.«
Er verzieht schmerzlich das Gesicht.
»Warum war deine Freundin denn so wütend?«
»Ich sage ja, es war Morgen und ich kam nach Hause. Um genau zu sein, ich kam von einer anderen Frau.«
»Du hast sie betrogen?«
Bob sieht mich an und seufzt. »Manchmal kommt ihr mir alle vor wie ein Kirchenchor aus dem Mittleren Westen. Du und Leroy und eure Freunde. Betrogen, wenn ich das schon höre. Wir hatten andere Ideale. Wir glaubten an eine Form von Liebe, die den Menschen nicht einengt, den Körper nicht unterdrückt, Gefühle nicht in richtig und falsch einteilt.«
Ich verstehe nicht, was er meint.
»War denn etwas zwischen dir und der anderen
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