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Der Himmel über New York (German Edition)

Der Himmel über New York (German Edition)

Titel: Der Himmel über New York (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Carl
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einen Slip nach dem anderen heraus und hält ihn sich probeweise vor den Schoß. Trotz ihrer Körperfülle trägt sie ein enges Top. Es soll vermutlich nabelfrei sein, bloß dass man wegen ihrer mächtigen Speckfalte am Bauch nichts von ihrem Nabel sieht. An ihrem speckigen Handgelenk baumelt eine braune Papiertüte, auf der in Schwarz Big brown bag steht.
    Aus einem Laden an der nächsten Straßenecke dröhnt mir Musik entgegen. Ich kenne das Lied, Conny hat es dauernd gespielt, auf dem CD-Player in der Küche in Queens. Der Song einer Gewinnerin, der Siegertitel einer Fernsehshow. Es kommt mir vor, als sei das sehr lang her . Take away those chains , nimm mir diese Ketten ab.
    Zu dem vertrauten Rhythmus betrete ich den Laden. Drinnen ist es kühl und ziemlich dunkel. Kaum haben sich meine Augen daran gewöhnt, steht ein Verkäufer vor mir. In den Augenbrauen und im rechten Nasenflügel trägt er Piercing-Ringe, im Kinn eine kleine Metallspitze. »Hi, Darling«, sagt er, entblößt dabei zwei Reihen makelloser Zähne und eine ebenfalls gepiercte Zunge. »Wie geht es dir heute? Kann ich dir helfen?«
    Ich werde das nie verstehen. So viel Liebenswürdigkeit und so viel Menschenverachtung auf so engem Raum. Ricks Geschichte lässt mich nicht mehr los, ein winziger Tropfen Gift, der einen süßen Cocktail in eine tödliche Mischung verwandelt.
    Ich sehe mich zögernd in der Boutique um. Im linken Teil des Raumes stehen Schuhe im Regal. Rosafarbene Pumps mit Keilabsätzen, Schlappen aus Schlangenleder, degenspitze Stiefel. Rechts davon sind auf zwei metallenen Garderobenstangen bunte Minikleider und T-Shirts mit Comiczeichnungen drapiert.
    »Ich bin mir nicht sicher. Einen Rock oder so?«
    »Was für eine großartige Idee!«Der Verkäufer strahlt, als hätte ich ihm einen Wunsch erfüllt. Er fährt mit den Fingern durch seine himbeerfarbenen Haare und steuert auf eine der Garderobenstangen zu. Er zieht verschiedene Sachen heraus – einen Faltenrock aus grün gefärbtem Wildleder, etwas aus rosa Spitze –, aber nichts davon gefällt mir. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich etwas davon anprobieren sollte. Einfach, um ihm einen Gefallen zu tun. Er gibt sich solche Mühe.
    Als ich hinter dem schwarzen Samtvorhang stehe und mich mit den Knöpfen des Lederminis abquäle, höre ich das Klappern seiner Absätze vor meiner Kabine.
    »Ich hätte hier noch was ganz Süßes, willst du mal sehen?« Eine Hand teilt die Samtfalten und hält mir einen knöchellangen Wickelrock hin. Er hat eine Farbe wie frische Tomatensuppe. Ich weiß sofort: Der ist es. Im Bund taste ich nach dem Etikett und bin erleichtert, dass er nur 60 Dollar kosten soll. Dann bleiben mir noch 40 von Annes Rückgeld für die Miete. Nett von ihr, dass sie mir einen Rock schenkt. »Kann ich ihn gleich anbehalten, wenn er passt?«, rufe ich dem Verkäufer zu.
    »Natürlich. Be my guest . Fühl dich wie zu Hause.«
    Auf dem Rückweg vom Einkaufen, an einem Imbissstand, bestelle ich ein Sandwich mit Thunfischsalat. Ich esse es im Stehen, weit vornübergebeugt, damit nichts auf meinen neuen Rock fällt. Das ist gar nicht so einfach, denn wenn ich vorne in das Brot beiße, quillt die weiche Füllung hinten heraus. New Yorker Sandwiches sind nicht nur riesig, sondern der Belag ist auch so dick wie beide Brothälften zusammen.
    Plötzlich höre ich hinter mir eine Stimme, die ich kenne, und dann tippt mir auch schon jemand auf die Schulter.
    »Nach meinen Berechnungen könnte man mit dieser Menge Thunfischsalat ein komplettes Toastbrot bestreichen. Und zwei bis drei kleine Cracker.«
    »Bob, was machst du denn hier?«
    »Ein paar neue Tangaslips kaufen. Für den Nationalfeiertag.«
    Ich muss lachen, halte das Brot schief und schon segelt ein Bröckchen Fisch durch die Luft. Es verfehlt meinen Rocksaum knapp und landet neben einer zerknüllten Stoffserviette im Rinnstein, wo sich sofort zwei Tauben darauf stürzen.
    »So etwas kann doch kein Mensch essen, so ein Riesending.«
    »Das ist New York, Baby. Da ist immer alles viel zu groß oder viel zu klein.«
    »Sieht so aus.«
    »Hast du Lust, noch ein bisschen bummeln zu gehen?«
    Das muss man mir nicht zweimal sagen.
    Bob läuft erstaunlich geschickt mit seinem steifen Knie, aber trotzdem geht es nur noch mit halber Geschwindigkeit weiter. Wir bewegen uns wie auf der Autobahn-Kriechspur, alle überholen uns. An der vierten Kreuzung steuert er auf einen Grünstreifen zu, mehr eine Verkehrsinsel als ein Park. Ein alter

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