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Der Himmel über New York (German Edition)

Der Himmel über New York (German Edition)

Titel: Der Himmel über New York (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Carl
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auf dem Futon, wir berühren uns nicht. Leroy redet. Ich höre zu.
    »Er hatte sie zu seinem fünfzehnten Geburtstag bekommen, es war das Geschenk seines Lebens. Seine Ma, also meine Tante, hatte sich bei meiner Ma noch Geld geliehen, weil Rick von nichts anderem mehr sprach. Vielleicht hatte einer seiner Kumpels solche, keine Ahnung, warum er die Dinger so leidenschaftlich haben wollte. Am Morgen seines Geburtstags hat er sie angezogen, und seitdem habe ich ihn nie wieder in anderen Schuhen gesehen, bis …«
    Leroy macht eine Pause und blickt zu Boden. »Bis drei, vier Wochen später. Bis zu seinem letzten Tag.«
    »Ist er gestorben, dein Cousin?«, frage ich.
    »So kann man es natürlich auch nennen.«
    »Und du, wie würdest du es nennen?«
    »Ermordet. Gekillt. Kaltblütig niedergemetzelt.«
    Etwas in Leroys Gesicht macht mir Angst. Er starrt die Wand an, mit der gleichen kalten Wut, die ich nun schon ein paarmal bei ihm gesehen habe, wenn die Rede war von diesem Jungen.
    »Wer war das?«
    »Die verdammten Bullen.« Verächtlich spuckt er die Worte aus.
    »Die Polizei? Aber hat er denn irgendwas …«
    »Ob er was ausgefressen hat, willst du wissen? Jenny, dieser kleine Kerl hatte ein Herz aus Gold. Ich habe nie jemanden getroffen, der so viel positive Energie ausgestrahlt hat. Der hat im Dunkeln geleuchtet, Ricky, sogar ohne seine albernen Blinkschuhe. Ich meine, die Familie wohnt nicht gerade in einem Stadthaus auf der Upper East Side, wenn du weißt, was ich meine. Keinen leichten Start ins Leben hat er gehabt, mit einer Ma, die drei Kinder von drei verschiedenen Männern hatte, in einem Sozialwohnungsblock in der South Bronx. Aber scheiß drauf, ich hab immer gewusst, der Typ bringt so viel Leben mit auf diese Welt, so viel Optimismus, der lässt sich nicht runterziehen von dem ganzen Mist um ihn herum. Ehrlich, ich dachte, Rick, um den brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Der ist unverwundbar. Bloß gegen eine Polizeiwaffe, da hat ihm seine ganze Lebenslust nichts mehr genutzt.«
    »Aber warum …«
    »Bei einer Razzia ist es passiert, nachts um eins, vor seiner eigenen Haustür. Er stand mit ein paar Kumpels dort, als der Streifenwagen anhielt. Einer von seinen Freunden hatte ein krummes Ding gedreht. Mit Crack gedealt oder so. Na ja, man kann sich seine Freunde nicht aussuchen, das waren halt Jungs aus derselben public school wie er. Dummerweise hat Rick in die Innentasche seiner Jacke gefasst, um nach seinem Ausweis zu suchen. Das hat ihn das Leben gekostet.«
    »Er wollte seinen Ausweis zeigen? Aber deshalb …«
    »Die Cops haben gedacht, er würde eine Waffe zücken. Angeblich. Die nervliche Belastung. Tolle Begründung, oder? Ich meine, es ist ihr verdammter Job! Keiner hat sie gezwungen, zur Polizei zu gehen.«
    »Und deshalb haben sie auf ihn geschossen.«
    »Ja. Und nicht nur ein Mal. Sieben Mal. Das musst du dir mal vorstellen: Sieben Kugeln für einen Fünfzehnjährigen mit Blinkschuhen. Der das Pech hatte, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein.«
    »Oh Gott.« Das ist kein Krimi. Das ist echt. Ein scharf konturiertes Leben, das mit meinen Luxusproblemen nichts zu tun hat. »Und was ist dann passiert? Sind die Polizisten vor Gericht gekommen?«
    »Vor Gericht?« Leroy lacht höhnisch. »Träum weiter, Herzchen. Ein weißer Bulle kommt in dieser Stadt nicht vor Gericht. Schon gar nicht, wenn er nur zufällig einen kleinen schwarzen Kerl umgelegt hat. Immerhin, meine Tante hat einen Brief vom Polizeipräsidenten bekommen. Und weißt du, was da drin stand? Der Vorfall sei höchst bedauerlich, aber der junge Mann hätte sich schließlich mit vorbestraften Leuten herumgetrieben. Früher oder später wäre er also sowieso auf die schiefe Bahn geraten. Das sollte nun ein Trost sein. Blöderweise haben wir dein Kind kaltgemacht. Aber immerhin hast du jetzt einen toten Unschuldsengel auf dem Friedhof und nicht mehr einen zukünftigen Killer im Wohnzimmer. Am nächsten Abend wollte Rick beim Slam auftreten. Zum ersten Mal.«
    Leroy knetet ein Papierkügelchen in seiner Faust, bis die Fingerknöchel ganz hell werden.
    »Ich wusste nicht«, beginne ich unsicher, »ich meine, das ist doch purer Rassismus! Und ich dachte, jetzt, wo ihr einen schwarzen Präsidenten habt …«
    Leroy winkt ab. »Ich mag Obama. Er ist ein guter Mensch. Aber glaubst du, der bittet jeden New Yorker Cop persönlich zum Vorstellungsgespräch? Ich meine, das mit Rick ist noch vor der letzten Wahl passiert, aber das spielt

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