Der Himmel über New York (German Edition)
Frau?«
»Ob da was war?«, wiederholt er, schüttelt den Kopf und lacht. »Was für ein Ausdruck! Ob ich mit ihr geschlafen habe, willst du wissen? Ob ich sie gevögelt habe? Na klar hab ich das! Das war eine andere Zeit, das könnt ihr euch heute gar nicht mehr vorstellen.« Er seufzt genießerisch. »Damals, Ende der Siebziger, war die Stadt wie ein riesiger Selbstbedienungsladen, in dem alles im Angebot war. Wenigstens in den Kreisen, in denen wir uns bewegten. Man traf sich auf Partys, in Bars, in kleinen Hinterhofgalerien. Manchmal genügte ein Blick, ein Kopfnicken, der verrutschte Träger eines Hemdchens, um zu wissen: Da geht was. Und zwar noch heute Nacht.«
Ich sehe ihn ungläubig an. »Und da wunderst du dich, dass deine Freundin durchgedreht ist?«
»Weißt du, wir hatten ein Arrangement. Ich habe nie etwas vor ihr verheimlicht, in den ganzen drei Jahren nicht, die wir uns kannten. Wir haben uns nie verboten, andere Liebhaber zu haben. Bloß hat sie davon keinen Gebrauch gemacht. Ein oder zwei Mal höchstens. Ich glaube, es hat ihr nicht mal Spaß gemacht. Sie tat es nur, um sich nicht so hilflos zu fühlen. Um sich an mir zu rächen.«
»Ich bin ganz froh, dass ich diese Zeit nicht mehr erlebt habe«, sage ich und streiche meinen Rock glatt, »ich wäre damit auch nicht zurechtgekommen.«
Bob nickt gedankenverloren. »Als ich sie kennenlernte, dachte ich, es würde gehen. Sie kam mir vor wie die unkonventionellste Frau auf Erden. Aber irgendwann merkte ich, dass sie eigentlich gar kein Interesse an einer offenen Beziehung hatte. Am Abend vor unserem letzten Streit hat sie es endlich zugegeben. Dass sie mich ganz für sich allein wollte, ganz bürgerlich. Als ich das Haus verließ, weinte sie und sagte, am liebsten würde sie mir Fußfesseln anlegen. Das hat sie geschafft, gewissermaßen.«
Bob tätschelt sein steifes Knie. »Danach war’s vorbei mit dem süßen Leben. Aber das hat sie leider nicht mehr miterlebt.«
»Und du«, frage ich, »hast du sie denn geliebt?«
»Ja. Natürlich. Ich wollte und konnte nicht treu sein, aber ich hätte sie nie verlassen. Ich wollte den Rest meines Lebens mit ihr verbringen.«
Sein Gefühlsausbruch überrascht mich. Er wischt sich sogar eine Träne aus dem Augenwinkel und versucht gar nicht, es vor mir zu verbergen.
»Warum gerade sie?«
»Im Grunde ihres Herzens war sie nie wirklich eine Hippiefrau. Aber trotzdem war sie ein freier Mensch, freier als wir anderen alle miteinander. Sang laut auf der Straße. Sprang in einer schwülen Nacht in den See im Central Park. Ich sehe sie noch vor mir, wie sie von der Wiese aufsteht, sich aus ihrem Rock schält und zum Ufer läuft. Es war so ein ähnlicher, wie du ihn anhast. Aber mit diesen komischen Mustern, die damals modern waren«, sagt er und rudert mit den Fingern in der Luft herum auf der Suche nach einem Wort. »Wie nennt man das, diese ausgewaschenen Stellen in einem farbigen Stoff?«
»Batik?«, frage ich.
»Genau, Batik.«
»Was ist aus ihr geworden?«, frage ich aufgeregt.
Er zögert. »Keine Ahnung. Nachdem sie mich im Wartezimmer zurückgelassen hatte, war ihr Mitleid mit mir aufgebraucht, und irgendwie kann ich es ihr nicht verdenken. Ich habe noch aus dem Fenster geschaut und sie aus dem Gebäude gehen sehen. Das ist mein letztes Bild von ihr, wie sie gegenüber der Arztpraxis am Straßenrand steht und den Arm nach einem Taxi ausstreckt. Und ihr verweintes Gesicht hinter einem Vorhang aus blonden Haaren.«
»Was? Danach hast du sie nicht mehr wiedergesehen? Aber ihr habt doch zusammengelebt!«
»Als ich zwei Stunden später zurückkam, mit einem übel riechenden Salbenverband auf dem Knie und höllischen Schmerzen, war sie weg. Und alle ihre Sachen auch. Im Flur lag ein handgeschriebener Zettel auf dem Boden. Ich hoffte, es sei wenigstens ein Abschiedsbrief. Aber er war von unserem Vermieter. Er hatte die Kündigung für das Zimmer unter dem Türspalt durchgeschoben. Die Nachbarn hätten sich seit Wochen über unseren Lärm beschwert, und nun sei das Maß endgültig voll.«
Bob fährt mit dem Zeigefinger die Adern nach, die sich auf seinem Handrücken abzeichnen. »Sogar unsere gemeinsamen Fotos hat sie mitgenommen. Aber mein Lieblingsbild habe ich noch immer im Kopf, so deutlich wie kein Abzug auf Papier jemals sein könnte. Ich habe es selbst gemacht. Sie steht mit erhobenem Kopf auf einem Mäuerchen im Central Park. Die rechte Hand hat sie hochgehoben wie die Freiheitsstatue ihre Fackel.
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