Der Himmel über New York (German Edition)
eines Wortes zu würdigen, ohne sich umzusehen. Außerdem trenne ich mich zum zweiten Mal innerhalb von zwei Wochen. Wird ja beinahe zur Gewohnheit.
Trotzdem stehe ich jetzt reglos im dunklen Treppenhaus zwischen dem Türknopf und einem stinkenden blauen Mülleimer, und schlagartig ist nichts mehr so einfach.
Erstens: Frauen in Filmen haben einen guten Grund, ihren Mann zu verlassen. Weil er mit einer anderen Frau geschlafen, das Geld für Drogen ausgegeben oder sie geschlagen hat. Ich verlasse Leroy, weil er mich heiraten möchte. Weil er will, dass ich bei ihm bleibe.
Zweitens: Frauen in Filmen brechen zwar in eine unbekannte Zukunft auf. Aber entweder sie haben dabei einen Haufen Geld und lassen sich mit dem Taxi in ein Hotel fahren, wo sie die Suite mieten und erst mal in der Marmorwanne ein Schaumbad nehmen. Oder sie landen bei ihren Eltern oder ihrer besten Freundin. Wenn ich meinen Koffer in einer halben Stunde zwei Stockwerke hinunterwuchte, habe ich noch drei Nächte vor mir, in denen ich niemanden habe, zu dem ich gehen kann. Niemanden in der ganzen Stadt.
Ich lasse meine Hand sinken und lehne mich an die Wand. Auch das machen Filmheldinnen gerne: die Schultern nach hinten ziehen, das Kinn anheben und durch den geöffneten Mund atmen, um ihre Gedanken zu ordnen.
Allerdings lehnen sie sich wahrscheinlich nicht mit ihrem ganzen Körpergewicht gegen die Türklingel. Der schrille Ton reißt mich aus meinen Gedanken. Es ist, als zittere das Haus. Dann geht eine Tür auf. Leroys Wohnungstür.
Amy streckt ihre Stupsnase in den Gang des Hauses und nickt mir kurz zu. Dann lässt sie mich stehen und schlurft wieder in Richtung ihres Zimmers. Auf dem Sofatisch im Korridor brennen zwei rote Kerzen, die in den Hälsen leerer Weinflaschen stecken. Eine Frau sitzt mit angezogenen Beinen auf dem Sofa. Ihr lang gezogener Schatten tanzt auf dem staubigen Fußboden.
Es ist Anne.
Blonde Strähnen haben sich aus ihrer festgesprühten Haartracht gelöst und ringeln sich um ihr Kinn. Sie hat ihren rechten Ellenbogen auf die Lehne gestützt, den Kopf in die Armbeuge gelegt. Sie sieht aus wie ein kleines Mädchen, das einer spannenden Geschichte lauscht. Ihr gegenüber auf dem anderen Sofa sitzt Bob, raumgreifend und breitbeinig. Beide wenden mir die Gesichter zu und sehen mich erwartungsvoll an.
»Leroy hat auf dich gewartet. Er macht sich Sorgen«, sagt Bob.
Anne sieht mich an und sagt nichts. Sie lächelt, ganz leicht, ohne die Lippen zu öffnen. Und wie sie mich so ansieht, erinnert sie mich zum zweiten Mal an die Frau, von der mein Vater gesprochen hat. Die Frau auf dem Foto. Zwar hängt die Haut an ihrem Kinn ein bisschen, ihre Oberlippe ist faltig und auf ihren Handrücken trägt sie erste Altersflecken. Aber ihre Augen sind wach. Und an ihrer Schläfe schimmert noch immer eine bläuliche Ader, lässt sie zart aussehen und zerbrechlich im Kerzenlicht und gleichzeitig stark und weise.
»Geht es dir gut, Jenny?«, fragt sie.
»Nein. Kann man nicht so sagen.«
»Viel Glück. Tu das Richtige.«
Leroy kauert auf dem Futon, zusammengekrümmt wie ein Embryo. Kaum vorstellbar, dass dieses Bündel in ausgestrecktem Zustand zwei Meter lang ist. Im Licht der Nachttischlampe kann ich undeutlich einen Rotweinfleck auf dem Leintuch ausmachen. Wir haben ihn gemeinsam gemacht, letzte Woche noch, jetzt sieht er aus wie getrocknetes Blut.
Waschen wird Leroy das Leintuch allein. Er wird eine Maschine mit Vierteldollars füttern und mich bei jedem Geldstück verfluchen, das durch den Metallschlitz fällt.
Er braucht einen Moment, um sich aufzurichten. Erst schüttelt er seinen Kopf wie ein nasser Hund, dann streckt er seine Beine aus, verschränkt Fußknöchel und Arme. So mustert er mich aus sicherer Entfernung.
Unsere Blicke treffen sich. Er fragt nicht und ich antworte nicht. Ich weiß, dass er weiß: Wäre meine Antwort Ja, dann würde ich mich mit meinem gewinnendsten Lächeln vor ihn knien, den Kopf schief halten, ihm meine geöffneten Handflächen hinstrecken.
Ich zwinge mich, stehen zu bleiben. Zu gerne würde ich mit meinen Daumen über sein Kinn streichen, meinen Kopf auf seinen Bauch legen, durch den Stoff hindurch feine Härchen an meiner Wange spüren.
Stattdessen ziehe ich meinen Koffer hinter seinem Schreibtisch hervor.
»Ich hätte es wissen sollen«, flüstert er.
»Dass ich dich nicht heiraten will? Ich meine, wenigstens nicht jetzt?«
»Nein. Ja. Das auch.«
»Was meinst du dann?«
»Dass ich dir
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