Der Himmel über New York (German Edition)
überhaupt nicht wichtig war. Höchstens in der Nacht«, zischt er böse. »Um es dir richtig zu besorgen.«
Ich öffne den Schrank, werfe ein Kleid und zwei Jeans in den Koffer. An die Seiten stopfe ich die Banana-Republic-Einkaufstüte mit der schmutzigen Wäsche, meine Schminktasche, Duschgel und Zahnbürste. Die angebrochene Pillenpackung. Die Plastikflasche mit dem Aspirin. Erst beim Packen fällt mir auf, dass ich mich in Leroys Zimmer nicht wirklich ausgebreitet habe. Es dauert nicht länger als fünf Minuten, meine Sachen zusammenzusuchen.
Ich steige aus seinem Leben aus, ohne Spuren zu hinterlassen. Außer ein paar Haaren auf seinem Kissen. Und einer angebrochenen Limo mit Kiwigeschmack im Kühlschrank.
»Du hast dich wirklich entschieden«, sagt er, als ich die zwei Schnallen um meinen Koffer festzurre und aufstehe. Seine Wut ist so plötzlich verraucht, wie sie entflammt ist.
»Versteh doch. Bitte.«
»Aber was? Warum?«
»Ich möchte mir mein eigenes Leben einrichten. Nicht nur wie ein Möbelstück im Leben eines anderen herumstehen.«
Leroy schweigt. Ein Wecker tickt. Eine Sirene heult.
»Ich würde dich trotzdem gerne wiedersehen«, setze ich krächzend nach. »Ich will eigentlich nicht, dass es endet. Nicht so.«
Er sieht mich an. Sein Gesicht ist ausdruckslos.
»Wann fliegst du nach Hause?«
Ich bin erstaunt, dass er es so formuliert. Dass er nicht sagt: nach Deutschland. Oder: zu deinen Eltern.
»Am Freitag. Morgens um zehn.«
Er nickt langsam. »Okay. Dann ist das wohl so.«
Ich kann ihm nur noch einen Gefallen tun. Schnell verschwinden. Er sieht aus, als könnte er jeden Augenblick zu weinen beginnen. Er würde es mir nie verzeihen, wenn ich ihn so sehen könnte. Und sich selbst erst recht nicht.
Ich ziehe die Tür zu und meinen Koffer hinter mir her, bleibe vor Anne und Bob stehen und setze mich dann auf die Sofalehne. Ich brauche eine Atempause, bevor ich gehe. Wohin auch immer. Sieht so aus, als müsste ich heute Nacht alleine mit dem Koffer durch New York irren und ein Hotelzimmer suchen. Und den Portier überreden, dass er meinem Vater die Rechnung schickt. Ich habe noch genau 72 Dollar übrig. Dafür gibt es hier nicht mal ein Zimmer in der Jugendherberge.
Anne und Bob haben ihre Hände auf dem Tisch ineinandergelegt. Als ich mich setze, zieht Anne ihre zurück und streicht ihr Kleid glatt. Ich habe es noch nie an ihr gesehen. Es ist nachtblau und glitzert im Kerzenschein. Bob blickt sie an, danach mustert er seine Finger, als hätte sich gerade ein kleiner Vogel darauf gesetzt und wäre sofort wieder weitergeflogen.
»Ich nehme an, du möchtest nicht länger hierbleiben?«, fragt sie mich.
Ich schüttle den Kopf.
»Und wo willst du jetzt hin?«
»Nach Hause«, presse ich heraus. In meiner Kehle sitzt etwas, das sich anfühlt wie ein kalter Doppelcheeseburger mit einer Extraportion Pommes.
Anne steht auf und legt mir eine Hand auf die Schulter. Durch mein T-Shirt hindurch fühlen sich ihre Finger kühl an.
»Sieht so aus, als hätte ich wieder einen Gast.«
»Ich war noch nicht fertig!«, protestiert Bob. »Du kannst jetzt nicht einfach gehen!«
Anne schaut ihn an und schüttelt den Kopf. Ihr Blick ist belustigt und zärtlich zugleich. Die losen Strähnen tanzen um ihr Kinn.
»Wenn du willst, kannst du dein Zimmer noch mal haben«, sagt sie zu mir. »Wo solltest du jetzt schon hin, allein, um diese Zeit?«
Ich nicke stumm.
»Hey«, protestiert Bob, »und was ist mit mir?«
Sie geht einen Schritt auf Bob zu und legt ihre rechte Hand an seine Schläfe, als würde sie ihn segnen.
»Mach’s gut, Bob. Ich ruf dich an.«
Als Anne nach mir aus der Wohnungstür tritt und der Riegel im Schloss einrastet, ist von draußen ein Geräusch wie von einer Explosion zu hören. Feuerschein dringt durch das winzige Fenster im Hausflur.
»Die können es auch nicht abwarten«, sagt Anne kopfschüttelnd.
»Was war denn das?«
»Eine Rakete. Dann ist es schon nach Mitternacht.«
»Ja, und?«
»Heute ist Nationalfeiertag«, sagt sie. »Unabhängigkeitstag.«
21.
O bwohl ich nur eine Woche nicht in Queens gewesen bin, kommt mir alles verändert vor. Meine Augen haben sich so an die Höhe Manhattans gewöhnt, dass die Häuser hier wirken wie Spielzeug. Und als Anne ihre Küchenfenster zum Lüften hochschiebt, bevor sie einen Kessel Teewasser aufsetzt, bleibt es still. Keine Sirenen, keine Stimmen auf der Straße, nur ein fernes Motorengeräusch. Wie wird es mir erst gehen, wenn
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