Der Himmel über New York (German Edition)
berühmten Schauspielerin, die ihm mindestens zwei unglaublich schöne, milchkaffeefarbene Kinder schenkt.
Gedankenverloren bin ich einer zweiten Touristengruppe gefolgt. Diese tragen alle die gleichen grünen Halstücher. So stehe ich plötzlich in der Lobby des Empire State Building.
Zwei schnauzbärtige Männer in blauer Uniform wienern den Marmorboden. Kaum sind sie mit einer Reihe Fliesen fertig, hinterlassen neue Fußsohlen Abdrücke darauf. Platform closes at 8 p.m. ,steht auf einem Hinweisschild neben dem Lift.
Wenn ich mich beeile, kann ich das gerade noch schaffen. Vielleicht bekomme ich dort oben wieder den Überblick über mein eigenes Leben.
Kurze Zeit später lege ich meine Stirn an das kühle Gitter der Aussichtsplattform und sehe hinunter. Ein Strom von Taxis pulsiert durch die Straßen wie gelbe Blutkörperchen. Aus den Gullys auf der 5 th Avenue steigen Schwaden heißer Luft auf, so hoch, dass man sie selbst von hier oben erkennen kann. Sie sehen aus wie Atemwölkchen.
Mehr und mehr Lichter gehen in den Häusern an, während über dem Hudson River ein paar letzte rötliche Strahlen zwischen den Wolken hindurchscheinen. Im Norden Manhattans gähnt der Central Park als dunkler Fleck. Nur in seiner Mitte leuchtet ein einzelnes Licht. Es muss das Tea House sein, wo Leroy und ich uns gestern Nachmittag verabredet haben. Am See – in den Anne vor zwanzig Jahren gesprungen ist. Ob Bob heute zu ihr gefahren ist?
Ich bin fast allein hier oben. Nur zwei Männer im Anzug stehen ein paar Meter von mir entfernt. Der eine erzählt etwas und gestikuliert dabei. Doch es ist zu windig, um etwas zu verstehen. Luft pfeift durch die Maschen des Sicherheitsgitters.
In eine Metallstrebe hat jemand ein Herz eingeritzt. A & V forever. April 18 th , 1997 . Mehr als zehn Jahre steht das da schon und die Schrift wird in zwanzig Jahren noch dort sein, wenn das Geländer nicht bis dahin neu lackiert ist. Schon heute wird sich A. kaum noch an V. erinnern, höchstens bei einem Umzug ein verknittertes Passfoto von ihr in einer Schublade finden. Und V. wird vielleicht ihrer Tochter von A. erzählen. Mummy, hast du einen anderen boyfriend gehabt, ehe du Daddy kennengelernt hast?
Wenn jetzt ein Licht ausginge, hinter einem der Tausenden von Fenstern in New York, von hier aus würde es niemand bemerken. Wenn sich die Erde auftun würde und eines der gelben Taxis verschluckte, es würde nicht weiter auffallen. Wenn einer der Jogger im Riverside Park sich in Luft auflösen würde, keiner könnte es von hier aus sehen. Wo einmal Zwillingstürme standen, wird nun ein einzelner Wolkenkratzer gebaut. Irgendwann wird es nur noch in alten Filmen existieren, das Bild der Südspitze Manhattans mit dem alten World Trade Center. Und auch der Name eines 15-Jährigen, der vor seinem Haus von Polizisten erschossen wird, bleibt nicht länger als zwei Tage in den Schlagzeilen, bevor die Welt ihn vergisst. Nichts bleibt. Niemals.
Ich bin genauso klein und unwichtig, denke ich plötzlich, was bilde ich mir denn eigentlich ein auf mein kleines, unwichtiges Leben?
»Miss!«, ruft ein Wächter in Uniform und winkt mit einem Schlüsselbund aus der halb geöffneten Tür. Zeit zu gehen.
Ich drehe mich um. Die beiden Männer im Anzug sind verschwunden. Über meine Schulter werfe ich einen letzten Blick auf die Stadt unter mir. Ich bin klein und unwichtig, denke ich, und gleichzeitig auch wichtig. Denn da, wo ich gerade stehe, an dieser Stelle des abgetretenen Betonbodens, kann kein anderer zur selben Zeit stehen. Keiner kann durch meine Augen schauen. Keiner kann die Welt so sehen wie ich.
Ich folge dem Wärter in den Lift. Die Tür schließt sich mit einem hellen Glockenton. Ich blicke mir entgegen. Schaue mir selbst in die Augen, aus drei Seitenspiegeln, die von oben mit Neonröhren beleuchtet werden. »Hallo«, sage ich zu meinem Bild. »Hallo«, formen meine Lippen im Spiegel. Ich lächle. Die Frau im Spiegel lächelt zurück. Es kommt mir vor, als würde sie noch etwas sagen.
Du bist der einzige Mensch, auf den du wirklich angewiesen bist. Du kannst dich niemals verlieren. Mach was draus .
Als ich die U-Bahn-Treppe an der 2 nd Avenue wieder hochsteige, kommt mir das Licht draußen unnatürlich hell vor. So gleißend ist keine Straßenlaterne. Aber die Sicht wird von einer Menschenmenge versperrt. Sie stehen bis zur vierten Stufe der U-Bahn-Treppe herunter und verrenken sich die Hälse. Ich versuche, mich durchzudrängeln, ignoriere böse
Weitere Kostenlose Bücher