Der Himmel über New York (German Edition)
gesehen habe. Und stattdessen Leroy begegnet bin. Zum zweiten Mal.
Zufällig. Oder nicht?
»Leroy, der ist romantisch. Der hat keine Angst vor großen Gefühlen. Bei dem geht es immerzu um Leben und Tod. Sein Leben ist so – anders als meines. So intensiv.«
»Bob hat mir von euch beiden erzählt«, sagt Anne und seufzt. »Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn du vorhin in die Wohnung zurückgekommen wärst und diesen Heiratsantrag angenommen hättest. Vielleicht hätte ich mich dann noch mal ganz schrecklich in dein Leben eingemischt.«
Auf einmal fällt mir etwas ganz anderes ein. »Hat Conny nun eigentlich gekündigt?«
»Ach ja, Concepción.« Anne nickt bekümmert. »Oft habe ich mich über sie aufgeregt. Wenn ich ihre losen Haare im Frittierfett fand und wenn sie sich in der Küche schminkte, statt die Teller herzurichten. Aber als ich sie so gesehen habe, so entwürdigt, da tat sie mir richtig leid.«
»Wann hast du sie zuletzt getroffen?«
»Gestern. Sie kam, um ihre Sachen abzuholen, und ist draußen auf der Straße ihrer Freundin begegnet, direkt vor der Tür. So eine kleine Pummelige mit krausen Haaren.«
»María.«
»Ja, so heißt sie. Die beiden haben so laut gestritten, dass ich schon gedacht habe, ich müsste auf die Straße laufen und sie trennen. Die Pakistanis vom Laden nebenan haben sich alle auf dem Gehsteig versammelt und zugehört.«
»María hat mit Conny gestritten? Die bewundert sie doch so!«
»Ich habe nicht alles mitbekommen. Aber Conny hat ihr vorgeworfen, dass sie eine Verräterin ist. Anscheinend hat María Connys Freund gesteckt, dass sie es mit der Treue nicht so genau nimmt. Und das hat den ganzen Familienkrach ausgelöst.«
Ich kann mir plötzlich lebhaft ausmalen, was passiert ist. Erst diese letzte Demütigung, die letzte in einer ganzen Reihe, bis María sich endlich nicht mehr kleinmachen wollte. Conny, angeschickert und mit blitzenden Augen, neben irgendeinem Kerl an der Bar. »Klar, Liebchen, fahr ruhig nach Hause, wenn du müde bist, aber du holst mich nachher mit dem Auto ab, ist doch so ausgemacht, nicht?«
Marías kleines Hundegesicht, wie sie vor Antonio steht. »Ich habe lange mit mir gekämpft, aber ich kann es nicht mehr verantworten. Ich muss dir etwas sagen, etwas über deine Verlobte.«
Endlich sieht er sie an. Nur sie allein. Auf diesen Augenblick hat sie schon lange gewartet.
»Dann braucht María bald eine neue Freundin, die sie anbeten kann«, sage ich.
Wieder steigt eine Welle von Leroys Duft aus meinem T-Shirt auf. Ich muss ein paarmal tief ein- und ausatmen.
»Du wolltest nicht, dass es zu Ende geht, mit Leroy und dir. Wenigstens nicht so, oder?«, fragt Anne.
Ich schiebe ein paar Zuckerkrümel auf der Tischplatte zusammen.
»Ich glaube, Bob empfindet noch immer viel für dich«, sage ich.
»Ja«, sagt Anne mit einem schiefen Lächeln. »Ja, er lebt mit der gleichen Leidenschaft wie früher. Er erinnert mich irgendwie an eine«, sie macht eine kurze Pause, »eine New Yorker Hauswand. Jedes Jahr kommt eine neue Schicht Farbe drauf, ein neuer Werbespruch, eine neue Parole, aber die Ziegel darunter bleiben dieselben. Er behauptet zwar, dass er seine Einstellung geändert hat. Aber wenn ich daran denke, wie er den jungen Frauen in seiner Wohnung hinterherschaut, dann bin ich ganz froh, dass er nicht mehr die gleichen Chancen hat wie vor zwanzig Jahren.«
»Das mit Leroy … ich glaube, ich liebe ihn. Wirklich, das tu ich. Aber er versteht nicht, dass ich ein eigenes Leben brauche. Wenn ich nichts habe, keine Aufgabe, nichts, woran ich wirklich glaube, dann denke ich die ganze Zeit über Gefühle nach. Das ist auf die Dauer ganz schön anstrengend, oder?«
Anne grinst. »Das habe ich mir auch gedacht, als ich Bob wiedergetroffen habe. Er hat nichts als Gelegenheitsjobs und die Vergangenheit. Ich habe zumindest meine Lieferanten, mit denen ich mich über welken Salat streiten kann.«
Sie verschränkt die Hände hinter dem Kopf und sieht mich dann nachdenklich an. »Und du? Bist du eigentlich weitergekommen mit deinen Zukunftsplänen?«
»Schwierig. Ich habe immer wieder neue Ideen, aber wenn ich sie mir genauer anschaue, dann sind sie mir eine Nummer zu groß. Muss an dieser Stadt liegen, da ist auch alles so riesig. Ich meine, irgendwann werden wir doch alle enttäuscht, oder? In der Liebe und in dem, was wir tun mit unserem Leben. Wäre es dann nicht besser, gar nicht erst nach den Sternen zu greifen?«
Anne schüttelt energisch
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