Der Himmel über New York (German Edition)
ich wieder in Deutschland bin? Ich schätze, Freiburg wird mir vorkommen wie ein weltabgeschiedenes Bergdorf.
Es ist mitten in der Nacht, aber wir sitzen noch immer in ihrer Küche und reden.
»Eigentlich müsste ich wütend sein, dass du in meinen Sachen herumschnüffelst«, sagt sie.
»Ich habe das Foto nicht gesucht. Ich wollte ins Bad und bin im falschen Zimmer gelandet. Bitte, Anne, glaub mir.« Jetzt bin ich froh, dass es im Englischen keinen Unterschied zwischen Du und Sie gibt. So ist es keine große Sache, sie nicht mehr Mrs Koslowsky zu nennen.
Sie streicht sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. »Ist nicht so wichtig. Nett, dass mich Bob auf diese Weise wiedergefunden hat. Obwohl«, sie wickelt sich die Strähne um den Finger wie einen Ring, »so ganz sicher bin ich mir noch nicht. Dass es richtig war, meine ich.«
»Hätte ich ihm denn nicht sagen sollen, wo du bist?«
»Das meine ich nicht. Aber vielleicht ist es zu spät. Vielleicht sind wir zu alt. Und die Gefühle sind nur noch nostalgisch. So, wie man ein altes Kleid noch gern hat, das man mit zwanzig getragen hat, es aber nicht mehr anziehen würde.«
»Und wenn es doch noch passt?«
Sie zuckt mit den Schultern. »Bob war meine große Liebe. Die einzige. Trotz allem, was er mir angetan hat. Und er hat mich auch nicht vergessen. Wie auch?«, ihr Lachen klingt rau, »schließlich muss er auf Schritt und Tritt an mich denken.«
»Dafür könnte er dich hassen«, sage ich und fahre mit dem Finger einen Ring auf der Tischplatte entlang, den eine zu heiße Tasse hinterlassen hat. »Tut er aber nicht.«
»Nein. Tut er nicht.«
Wir schweigen. In die Stille hinein explodiert wieder eine Rakete.
»So wie wir früher, als Kinder«, sagt Anne. »Am Vorabend das ganze Pulver verschießen, und am Feiertag selbst steht man dann mit leeren Händen da.«
»Was war mit deinem Mann?«, frage ich weiter. »Hast du ihn nur geheiratet, um nicht allein zu sein?«
Sie fixiert das Hochzeitsbild an der Wand über mir. Den wehenden Brautschleier, den Mann neben ihr, der versucht, seine Glatze zu verstecken. Dann schüttelt sie langsam den Kopf.
»Ich hätte keinen Ersatz für Bob ertragen. Deshalb war Dan richtig für mich, er war ganz anders. Freundlich und überhaupt nicht leidenschaftlich. Mein Leben fühlt sich nicht viel anders an, seit er tot ist. Obwohl es mir manchmal fehlt, wie er mich anschaute. Schon morgens beim Aufwachen.«
Sie schließt ihre Finger um ihren Keramikbecher. Ein Teebeutel dümpelt an der Oberfläche. Sie hat noch keinen Schluck getrunken. Jetzt ist das Getränk sicher nur noch lauwarm.
»Vielleicht, wenn wir Kinder gehabt hätten«, fährt sie nachdenklich fort, »dann wären wir uns nähergekommen. Oder auch nicht, man weiß es nie. Dafür hat Dan mir das Restaurant hinterlassen. Das ist jetzt mein Baby und es entwickelt sich prächtig. Ich weiß, es ist kein Gourmetrestaurant, das von Testern der New York Times besucht wird. Aber es macht mich unabhängig.«
»Warum hattet ihr keine Kinder?«
»Weiß nicht genau. Vielleicht, weil mir Babys immer ein bisschen Angst gemacht haben. Ihre unbedingte Liebe, ihre ständigen Bedürfnisse, das wäre mir zu viel geworden. Sie machen einen so unfrei.«
»Merkwürdig, dass du dann mich so behandelt hast. Ich meine, als wäre ich ein Kleinkind.«
Ich weiche ihrem Blick aus. Vielleicht bin ich zu weit gegangen. Aber sie schüttelt nur leicht den Kopf.
»Ich wollte dich beschützen. Vielleicht, weil du mich so sehr daran erinnert hast, wie ich selbst war in deinem Alter. So hungrig. So schnell. Ich hatte den Eindruck, du könntest in Schwierigkeiten geraten.«
»Dabei war es genau umgekehrt. Du hast dich in einen Weiberhelden verliebt und ich musste vor Leroy weglaufen, weil er mich ganz für sich wollte.«
»Weiberhelden? Vielleicht. Ich würde es anders nennen. Bob ist für mich so etwas wie der letzte Romantiker.«
»Aber er hat dir so wehgetan.«
»Ich weiß. Freiheit tut immer weh.«
»Ich meine, aber es muss doch irgendetwas bedeuten. Dieser Zufall, dass ihr euch in dieser riesigen Stadt wiedertrefft, nach all den Jahren!«
Anne nickt und sieht mich mit einem kleinen Lächeln an. »So denkst du also darüber. Klar, du bist neunzehn Jahre alt. Irgendwann wirst du es merken. Wahnsinnige Zufälle gibt es im Leben immerzu. Aber längst nicht jeder hat auch einen tieferen Sinn.«
Auf einmal muss ich wieder an den Morgen denken, an dem ich beinahe die Freiheitsstatue von Nahem
Weitere Kostenlose Bücher