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Der hinkende Rhythmus

Der hinkende Rhythmus

Titel: Der hinkende Rhythmus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaye Boralıoğlu
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mein armer Sohn. Was kannst du denn sonst tun? Stimmt, sonst kannst du nichts. Nichts kannst du.«
    »Ich will nicht mehr reden.«
    »Wir müssen aber reden. Gut, dann lass uns auch mal über schöne Dinge sprechen. Wer ist dieses Mädchen?«
    »Welches Mädchen?«
    »Dieses Mädchen … Du denkst doch ständig an sie, dieses Mädchen eben.«
    »Welches Mädchen?«
    »Dieses Zigeunermädchen. Wer ist sie?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Du kleiner Frechdachs! Das sagt man immer zu den Müttern: ›Weiß ich nicht!‹ Wie, du weißt nicht? Jeden Tag denkst du an sie.«
    »Ich denke nicht an sie. Sie kommt mir in den Sinn.«
    »Eben. Ist ja noch besser. Warum kommt sie dir in den Sinn, das muss man fragen.«
    »Weiß ich nicht.«
    »Guck, mein Sohn, du wirst dich jetzt wieder ärgern, aber eines darfst du nicht vergessen.«
    »Was?«
    »Sie ist eine Zigeunerin!«
    »Was?«
    »Sie ist eine Zigeunerin. Und auch noch ein Kind. Also, es geht nicht.«
    »Was geht nicht? Was geht nicht? Es ist ja gar nichts. Ich kenne dieses Mädchen nicht. Ich weiß nicht, wer sie ist. Ich weiß es nicht.«
    »Du weißt es, du weißt es!«
    »Ich weiß nicht, ich weiß nicht, ich weiß nicht, ich weiß nicht, ich weiß nicht, ich weiß nicht, ich weiß nicht, ich weiß nicht …«

    Der Winter hatte eine Pause eingelegt, auf den Straßen herrschte fast Frühling. Für Halil kam das Leben langsam ins Lot. Morgens um sechs holte er den Wagen am Taxistand ab, brachte ihn um vier Uhr nachmittags wieder zurück, ging dann nach Hause, trank ein, zwei Gläser, guckte Fernsehen und döste ein. Einen Teil seiner Schulden an den Lebensmittelhändler und den Fleischer hatte er zurückgezahlt. Nachts schlief er ruhiger und träumte selten.
    Es war ein Donnerstag. Alles war überraschend ruhig. Selbst dort, wo sich der Istanbuler Verkehr sonst immer staute, floss er heute. Am frühen Morgen hatte er ein französisches Ehepaar zum Flughafen gebracht. Das junge Paar wirkte völlig aufgeregt und glücklich. In gebrochenem Türkisch erzählten sie, sie würden hier als Lehrer arbeiten, die Frau sei schwanger und nun flogen sie nach Frankreich, um die Nachricht ihren Verwandten zu überbringen. Halil lächelte das Paar an, half am Flughafen, die Koffer auszuladen und sagte schüchtern: »Thank you!«
    Auf dem Rückweg nahm er einen Kunden mittleren Alters mit. Er habe einen Laden in Mercan, erzählte der Fahrgast. Über die ganze Strecke sprach er davon, wie sehr dieser Stadtteil seine alte Lebendigkeit eingebüßt habe, für die Klempner sei es sowieso schon vorbei, nun würden auch die Stoffhändler nacheinander wegziehen, die Spielzeugläden seien schon längst ruiniert und chinesische Produkte hätten alles überschwemmt. Er selbst verkaufte Brautkleider. Das Geschäft hatte er von seinem Vater geerbt und fast seine ganze Kindheit in diesem Laden verbracht. Damals konnten sie täglich ein Kleid verkaufen, manchmal sogar zwei. Die »älteren Schwestern«, die zur Anprobe kamen, hatte er mit großer Bewunderung angestarrt. »Aber jetzt kommen diese Schwestern nicht mehr«, sagte er, »höchstens einoder vielleicht zweimal im Monat. Heute kauft fast niemand mehr Brautkleider, warum auch immer. Die Scheidungen haben ja auch zugenommen.«
    Halil war froh, als sie in Eminönü ankamen. Der Mann hatte die ganze Zeit keine Sekunde geschwiegen. Zum Glück war dann die Frau, die er mitnahm und Richtung Nişantaşı fuhr, nicht gesprächig. Sie war ebenfalls mittleren Alters, hatte ihre Kopfhörer aufgesetzt und während der ganzen Fahrt Musik gehört. So konnte Halil ein wenig Ruhe genießen. Die Frau stieg in Dolmabahçe an der Abzweigung nach Nişantaşı aus.
    Wieder allein im Auto hatte Halil gerade das Radio eingeschaltet, als er bei dem Anblick, der sich ihm jetzt bot, fast den Motor abgewürgt hätte. Dieses Mädchen … dieses Zigeunermädchen stand vor ihm! Dieses Licht, das in seinem Kopf am Unfallort aufgeblitzt war und seit Tagen immer wieder aufflackerte! Diese unbekannte Blumenverkäuferin!
    Halil begriff sofort, dass es dieses Mal kein Tagtraum war, dass dieses Mädchen mit Haut und Haar und Kleid und Tuch, den roten Zöpfen und dunkelgrünen Augen tatsächlich vor ihm stand. Er wechselte auf die rechte Spur, schaltete den Warnblinker an und betrachtete dieses zauberhafte Bild. Wie eine vom Wind getragene Anemone schwebte sie zwischen den Autos und brachte es fertig, an jedem Wagen, dem sie sich mit einem spöttischen Lächeln näherte, wenigstens einen

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