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Der hinkende Rhythmus

Der hinkende Rhythmus

Titel: Der hinkende Rhythmus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaye Boralıoğlu
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das Stöhnen Güldanes zu beachten, ihre Augen, die ihn mal anflehten und sich dann vor Wut in ein Paar Feuerbälle verwandelten, lief er weiter, bis er die Mitte der Brücke erreichte. Halil blieb stehen. Er setzte sie auf die Brüstung.
    Vielleicht hätte er davon gelassen, wenn er nur eine weitere Sekunde dort gestanden, es sich anders überlegt, wenn er ihr in die Augen geschaut hätte; aber so kam es nicht.
    Halil hob Güldane hoch und ließ sie in das dunkle Wasser des Goldenen Horns fallen.

    Alle waren völlig aufgelöst. Es war, als hätte sich ein Spalt im Boden aufgetan und Güldane verschluckt. Sie hatten den Mülleimer unweit des Hauses am Weg gefunden und den Müll in der Mülltonne. Sonst gab es keinen einzigen Hinweis, niemanden, der etwas gesehen oder gehört hätte. Safiye, Cevdet und Yunus hatten das ganze Viertel umgestülpt, an jede Tür geklopft und Güldane überall gesucht, wo sie vielleicht hingegangen sein könnte.
    Schließlich waren sie sogar auf der Polizeiwache.
    »Wir wollen eine Vermisste melden.«
    Der Beamte mit spitzer Nase, Segelohren und Eulenaugen fragte, nachdem er Cevdet und Safiye von Kopf bis Fuß gemustert hatte, in einem Ton, als würde er sich nicht im geringsten für die Antwort interessieren:
    »Wer wird vermisst?«
    »Unsere Tochter.«
    Der Mund des Beamten verzog sich zu einem sarkastischen Lächeln.
    »Wie alt war sie?«
    Diese Frage, oder eher der Ton des Beamten, gefiel Cevdet gar nicht. Am liebsten hätte er fünfunddreißig gesagt, oder fünf …
    »Fünfzehn«, sagte Safiye.
    Das vielsagende Lächeln des Polizisten breitete sich bis über seine Augen aus.
    »Sie ist bestimmt mit jemandem durchgebrannt«, sagte er. »War da jemand, mit dem sie so rummachte?«
    Cevdets verrücktes Blut stieg ihm ins Hirn. Safiye erahnte, was gleich passieren könnte, und drückte so heftig den Arm ihres Mannes, dass sie dort Spuren ihrer Fingernägel hinterließ. Cevdet beherrschte sich. »Niemand«, sagte er. »Sie macht mit niemandem rum. Sie ist nicht ein solches Mädchen.«
    Der Polizeibeamte wollte sich offenbar ein wenig amüsieren; die Saat des Bösen regte sich in ihm.
    »Sie ist fünfzehn … Zigeunerin … Sie wird doch mit irgendwem rumgefummelt haben, ganz bestimmt.«
    Wäre nicht das Wohl seiner Tochter im Spiel gewesen, hätte Cevdet kein Erbarmen mit diesem Schurken gehabt. Er hätte ihm auf der Stelle einen richtig schönen Kopfstoß verpasst und sich selbst einen Gefängnisaufenthalt für einige Jahre gesichert. Aber jetzt war nicht die Zeit, einen auf Macker zu machen. Er musste die Worte des speichelspeienden, segelohrigen Beamten schlucken und behielt alle diversen Schimpfwörter, die er diesem Kerl bereits als Beinamen gegeben hatte, für sich. Cevdet wiederholte nur: »Unsere Tochter wird vermisst.«
    Sie hatten die Beleidigungen des Polizisten überhört und mussten ihn fast zwingen, eine Vermisstenanzeige aufzunehmen.
    »Wenn wir etwas hören, rufen wir Sie an«, sagte der Beamte.
    »Junge, ich flehe dich an, dieses Mädchen ist unser Augapfel«, sagte Safiye dem Eulenauge, voller heimlicher Abscheu.
    Auf dem Heimweg weinte sie unaufhörlich und Cevdet schimpfte sinnlos herum. Yunus sagte nichts.
    Irgendwann fiel Cevdet das Schweigen seines Sohnes auf.
    »Du«, sagte er, »du weißt irgendwas.«
    Yunus fing an, sämtliche Schwüre aneinanderzureihen. Was sollte er denn wissen, Güldane erzählte ihm nie etwas. Ohnehin hatten sie sich in letzter Zeit nur gestritten. Er schwor auf seine beiden Augen, er schwor auf den Koran, wirklich, er wusste gar nichts. Sonst hätte er es doch gesagt, bei Gott, er hätte es gesagt.
    Nur, in seinem Blick leuchtete ein widerspenstiger Funke auf, der nicht zu seinen Worten passte. Safiye stürmte, sobald sie diesen Schimmer bemerkt hatte, wie ein Vogel mit riesigem Leib zum Ofen, schnappte die Feuerzange und baute sich vor ihm auf. Sie schlug die Zange klatsch! klatsch! auf ihre Handfläche, während sie sprach:
    »Weißt du denn überhaupt, was du tust? Ich reiß dir mit dieser Zange dein Fleisch in Stücke, hast du kapiert? Zupf dir das Fleisch aus und brate es im Ofen. Ich prügle dich blau. Wenn du irgendeinen Scheiß weißt, sag es, ich bring dich um!«
    Yunus blieb dabei. »Ich weiß nichts«, sagte er, »bei Gott«, sagte er, »sonst hätte ich’s doch gesagt«, sagte er, konnte aber seine Eltern nicht überzeugen.
    Mal nahm Cevdet die Zange in die Hand, mal Safiye. Mal schubste ihn Cevdet, mal zwickte Safiye. Yunus

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