Der hinkende Rhythmus
selbst hervorrufen zu können, gab ihm unermesslichen Mut.
Die Wut, die in Wellen seinen Körper durchfuhr, verwandelte sich in Macht; ein Wonneschauer, der jede sexuelle Erregung übertraf.
Er zitterte in einer solchen Lust, dass er den Wunsch nach einer Zigarette verspürte.
Wenn nur dieser Moment nie endete … Wenn nur dieser Weg ein magischer Pfad bis in die Unendlichkeit wäre …
Güldane dagegen hatte ihre Gefühle und ihren Verstand gänzlich verloren. Sie hatte nicht einmal die Kraft, sich zu fürchten. Außer, dass es ihr Ende bedeuten würde, wenn sie jetzt nur ein einziges Mal stolperte, wusste sie gar nichts mehr. Und dass ihre einzige Rettung darin bestand, zu rennen. Sie konnte nichts sehen, konnte nichts hören; nur der eintönige Lärm des Motors hinter ihrem Rücken dröhnte in ihrem Kopf.
Eine plötzliche Anwandlung, der sie nur schwer widerstehen konnte, ließ sie für einen Moment erbeben: Sie wollte sich auf den Boden werfen und laut und schluchzend weinen.
Sie traute sich aber nicht. Das ungestillte Verlangen wurde zu einem Schluckauf und setzte sich in ihrer Brust fest. Mit ihrer ganzen Kraft rannte Güldane weiter.
Unmöglich zu sagen, wie lange diese erbarmungslose Verfolgungsjagd dauerte. Weder wurde Güldane müde, noch beruhigte sich Halil; aber ein gewöhnlicher Bordstein Istanbuls änderte auf einmal den Lauf der Dinge. Güldane stolperte, flog in die Höhe und landete auf dem Boden. Halils Auto rollte weiter und blieb direkt über ihr stehen.
Ihr Bild vor seinen Augen war plötzlich verschwunden. Halil trat auf die Bremse und stieg aus. Er hatte eine gewaltige Angst vor dem, was er gleich sehen würde, als er sich hinunterbeugte, aber das Befürchtete trat nicht ein. Das Mädchen lag langgestreckt unter dem Wagen. An dem Glanz ihrer Augen sah er, dass sie nicht ernsthaft verletzt war.
Halil griff unter das Auto und bekam sie an den Armen zu fassen. Er zog Güldane behutsam zu sich, als wäre sie ein Baby. Sie leistete keinen Widerstand. Nun hielt er diesen zarten Körper in seinen Armen und spürte, dass ihm Güldanes Wehrlosigkeit einen eigentümlichen Genuss bereitete. Fast hätte er sie an sich gedrückt, ihr gesagt, es sei alles wieder gut, jetzt sei sie in Sicherheit, hätte sie getröstet und angefleht, nicht zu weinen. Er roch ihren Schweiß – ein berauschendes Gefühl.
Güldanes Kopf hing nach hinten. Sie schaute in den Himmel. Dort, in der Ferne, zwischen den Bäumen, sah sie den Mond glänzen. Sie holte tief Atem. Und gab Halil einen Kopfstoß mitten ins Gesicht.
Blut strömte aus seiner Nase. Güldane zappelte mit aller Kraft, um sich von ihm zu befreien, doch seine Arme klammerten sich um sie wie ein Schraubstock. Der stechende Schmerz, der ihm von der Nase ins Gehirn schnellte, verknotete alle seine Nerven miteinander; sein ganzer Körper war jetzt ein einziges, riesiges, verknotetes Nervenbündel.
Und dieses Bündel drückte Güldane zu Boden. In Sekunden öffnete Halil den Kofferraum des Wagens, legte das Mädchen hinein, verband mit einem Seil ihre Hände, stopfte ihr einen Lappen in den Mund und schlug die Heckklappe wieder zu. Er stieg ein. Als sich das gelbe Taxi entfernte, war ein hauchzarter Schrei übriggeblieben, der von den Bewohnern des Viertels vor ihren Fernsehgeräten nicht beachtet wurde.
Während Halil bewusstlos über die Straßen Istanbuls fuhr, liefen ihm Blut aus der Nase und Tränen aus den Augen. Aber nicht etwa Tränen der Traurigkeit, sondern Tränen des Schmerzes. Und er wusste nicht, wie er diesen Schmerz bezwingen sollte.
Stundenlang fuhr er kreuz und quer durch die Stadt. Er fuhr nach Sultanbeyli und dann nach Bebek, er war in Kâğıthane und dann in Sultanahmet. Bis der Strom des Bluts und der Tränen verebbte, und vor allem, bis er sich entschieden hatte, wie er den Teufel im Kofferraum bestrafen wollte, fuhr er mal hierhin, mal dorthin.
Bald würde der Tag anbrechen.
Noch war niemand unterwegs.
Vor der alten Galata-Brücke in Balat lenkte er den Wagen an den Straßenrand und blieb stehen.
Er öffnete den Kofferraum.
Mit dem Stoff im Mund sah ihn Güldane an, die Augen vor Schreck weit aufgerissen, und atmete heftig durch die Nase wie ein Jagdhund.
Halil hob sie heraus, trug sie auf den Armen und lief auf die Brücke zu. Jetzt dachte er nichts mehr. In seinem Hirn hallte immer noch der Schmerz seiner Nase nach, dessen dumpfes Pochen sich mit jedem Schritt zu verstärken schien.
Ihm blieb nichts anderes übrig. Ohne
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