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Der Hinterhalt

Der Hinterhalt

Titel: Der Hinterhalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevor Shane
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Immerhin waren die vier Tage ohne Zwischenfälle verlaufen. Das war meiner Ansicht nach ein Fortschritt. Vier Tage in Charleston. Schließlich sollten daraus fast vier Monate werden. Vielleicht würden wir am nächsten Ort fünf Monate durchhalten, dann sechs, und schließlich würden sie uns vergessen, und wir würden uns niederlassen können.
    Die Jobsuche war eine Qual, doch damit hatte ich gerechnet. Ich hatte keine Zeugnisse vorzuweisen, geschweige denn irgendwelche Fähigkeiten. Das Einzige, was für mich sprach, war meine Bereitschaft, für wenig Geld zu arbeiten. Ich wusste, dass ich irgendwo anfangen musste. Selbst im Krieg hatte ich ganz unten angefangen. Deshalb lief ich mir jeden Tag die Füße wund, sprach unaufgefordert vor, um nach Arbeit zu fragen, oder meldete mich auf Anzeigen für Hilfsarbeiten in den Zeitungen. Mir war jedoch kein Glück beschieden. Sie musterten mich, einen Fünfundzwanzigjährigen ohne Vergangenheit, ohne Vorgeschichte, und jeder Einzelne von ihnen passte. Ich nahm es ihnen nicht übel. Schließlich roch ich geradezu nach Schwierigkeiten. Das konnte ich sogar selbst riechen.
    Mir war immer klar gewesen, dass es nicht einfach werden würde, ein neues Leben zu beginnen. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass mich jeder Einzelne, dem ich begegnete, daran erinnern würde. Nach drei Tagen beschlossen wir, dass du dich ebenfalls nach Arbeit umsehen würdest. Ich war nicht besonders glücklich damit, dich allein in die Welt hinausgehen zu lassen, doch wir brauchten dringend Geld, und du wirktest wesentlich unschuldiger als ich. Noch warst du seit weniger als zwei Monaten schwanger. Man sah es dir noch nicht an. Wir wussten allerdings beide, dass sich bald Veränderungen bemerkbar machen würden. Lange konnte ich es dir nicht mehr zumuten, im Auto zu übernachten. Dort war es ohnehin schon unbequem genug, doch sobald dein Bauch wuchs, würde es noch schlimmer werden. Wir mussten ein Bett für dich finden, auch wenn es alle paar Nächte ein anderes war.
    Nachdem du ein paar Tage mit Arbeitssuche verbracht hattest, beschlossen wir, uns ein Zimmer in einem Hotel außerhalb der Stadt zu mieten. Unmittelbar vor dem Hotel befand sich eine Bushaltestelle. Es war keinesfalls extravagant, setzte unseren schwindenden Geldvorräten aber trotzdem heftig zu. Wir waren fast pleite, brauchten das Hotelzimmer aber unbedingt. Du musstest dich ausruhen. Ich musste mich duschen.
    Du warst bereits in unserem Hotelzimmer, als ich es nach einem weiteren Tag erfolgloser Bewerbungen betrat. Ich erinnere mich, dass es völlig still im Zimmer war, als ich den Schlüssel ins Türschloss steckte. Ich erinnere mich, dass ich glaubte, du wärst noch unterwegs und würdest der Zurückweisung besser trotzen als ich.
    Ich drehte den Türknopf und betrat das Zimmer. Du saßest aufrecht auf der Bettkante, hattest die Hände im Schoß liegen und starrtest die Wand an. Der Fernseher war ausgeschaltet. Du rührtest dich nicht, als ich die Tür öffnete. Man hätte dich für eine Schaufensterpuppe halten können, so reglos warst du. Ich trat neben dich, um zu sehen, was du anstarrtest. Hinter dem Fernseher, über einer Kommode, hing ein Spiegel. Du starrtest dein Spiegelbild an.
    »Alles okay?«, erkundigte ich mich.
    »Nein«, erwidertest du mit ausdrucksloser Stimme. Deine Augen waren trocken.
    »Was ist passiert?«, fragte ich. Du löstest den Blick von deinem Spiegelbild und richtetest ihn auf mich.
    »Ich weiß nicht, ob ich das schaffe, Joe.«
    »Was ist passiert?«, fragte ich erneut.
    »Wer ist das, Joe?«, fragtest du und deutetest auf dein Spiegelbild.
    »Das ist Maria«, entgegnete ich, nahm deinen Kopf in die Hände und küsste dich auf die Stirn. »Das ist Maria. Das wird immer Maria sein.«
    »Warum stelle ich mich dann mit einem anderen Namen vor, wenn mir fremde Leute begegnen?«, wolltest du wissen. Wir hatten vereinbart, von jetzt an Pseudonyme zu benutzen. Das war sicherer.
    »Wie du dich nennst, ändert nichts daran, wer du bist.«
    »Aber ich erkenne mich selbst nicht mehr, Joe. Das liegt nicht nur am Namen. Ich gehe die Straße entlang, und die Leute sehen mich an, aber sie sehen nicht mich. Sie sehen jemand anderen.« Ich wusste, dass du recht hattest. Ich hatte fast mein ganzes Leben so verbracht. Es gab nur eine Handvoll Menschen auf der Welt, die mich sahen, wenn sie mich anschauten. Alle anderen sahen nur ein Trugbild, eine Illusion. Dein Leben war inzwischen genauso geworden. Es tat mir weh,

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