Der Hinterhalt
hatte, über das Leben von jemand anderem zu schreiben.
Aus Tagen wurden Wochen und aus Wochen Monate. Alle Tage waren gleich. Der einzige Hinweis darauf, dass die Zeit verging, waren die wechselnden Hotels und du. Dein Bauch wuchs mit jedem neuen Tag. Dein Körper veränderte sich. Wir gaben uns größte Mühe, wachsam zu sein. Das war nicht immer leicht. Manchmal mussten wir uns in Erinnerung rufen, dass sich nichts geändert hatte. Man war noch immer auf der Suche nach uns. Es konnte nicht so einfach sein. Das wusste ich. Du wusstest es ebenfalls. Trotzdem war es oft nur allzu einfach zu vergessen, dass wir nach wie vor auf der Flucht waren. Manchmal erinnerte ich mich nur im Schlaf daran. Ich träumte, doch in meinen Träumen lief ich nie davon. In ihnen war immer ich derjenige, der andere verfolgte, und diejenigen, die ich jagte, liefen um ihr Leben. Wenn ich solche Träume hatte, wachte ich jedes Mal schweißgebadet auf. Dann schrieb ich für dich in dieses Tagebuch. Ich tat Buße.
Du brachtest aus der Buchhandlung ein Buch mit, das erklärte, was mit dir geschah, was mit unserem Baby geschah, Woche für Woche. Da wir es uns nicht leisten konnten, dass du zum Arzt gingst, verließen wir uns auf das Buch. Wir lernten, dass sich deine Blutmenge um fünfzig Prozent vergrößert hatte – ein Umstand, der mir schlicht die Sprache verschlug. Wir standen gemeinsam deine morgendliche Übelkeit durch. Du bekamst Hautausschlag, der wieder verschwand. Irgendwann passte dir deine Kleidung nicht mehr. Wir mussten dir neue Sachen besorgen, was unser begrenztes Budget weiter schmälerte. Unterdessen wuchs das Baby. Es entwickelte ein Knochengerüst, ein Gehirn, seinen eigenen Herzschlag. Es wurde ein Mensch. Bald würden wir seine Bewegungen spüren können. Das machte es einfach, alles andere zu vergessen.
Nachdem ich etwa zwei Monate gearbeitet hatte, ließ ich den Kofferraum unseres Leihwagens reparieren. Wir hätten versuchen können, ihn für ein anderes Auto in Zahlung zu geben, doch ohne Papiere wäre das schwierig gewesen. Auf diese Weise sparten wir uns Geld. Der Kofferraum wurde ausgebeult und neu lackiert. Als der Wagen fertig war, sah er fast wieder aus wie neu.
Bei der Arbeit war ich inzwischen in eine gewisse Routine verfallen. Frank wurde immer lockerer und brachte mir eine Menge bei. Er zeigte mir, wie man die Wandpfosten abmaß und in den richtigen Abständen aufstellte. Er zeigte mir, wo ich beim Ausrichten der Nägel an den Wandpfosten den Fuß hinstellen musste, damit sie sich auf gleicher Höhe befanden. Manchmal arbeiteten wir zusammen, um sicherzustellen, dass das Stabwerk des Hauses waagrecht war, und zogen, drückten und hämmerten es in Position. Einige Lektionen lernte ich schneller als andere. Frank zeigte mir, wie man ein verzogenes Holzbrett mit Hilfe eines neuen Bretts wieder gerade klopfte. Dazu legte man die beiden Bretter aneinander und schlug einen Nagel diagonal durch das verzogene Brett, bis es sich begradigte. Sobald der Nagel durch das verzogene Holzbrett in das gerade Brett eingedrungen war, wurde das verzogene Brett mit jedem Hammerschlag gerader. Nach kurzer Zeit waren die beiden Bretter bündig. Manchmal war dafür mehr als ein Nagel nötig, doch wenn man es richtig machte, konnte man am Schluss kaum noch erkennen, wo ein Brett aufhörte und das nächste anfing.
Allerdings schien es nicht immer zu funktionieren. Eines Nachmittags arbeitete ich mit zwei Brettern, die sich einfach nicht bündig ausrichten ließen. »Hey, Frank, was macht man denn, wenn man die Bretter auch mit zwei Nägeln nicht bündig hinbekommt?« Frank sah mich an. Ohne ein Wort zu sagen, nahm er seinen Hammer, hängte ihn in die Lederschlaufe unten an seinem Werkzeuggürtel und trat zu mir. Er nahm mir meinen Hammer aus der Hand und prüfte sein Gewicht. Dann hob er ihn an und ließ ihn viermal herabsausen, zweimal auf jeden der beiden Nägel, mit denen ich versucht hatte, das Brett zu begradigen. Mit vier Schlägen schaffte Frank, was mir mit zwanzig nicht gelungen war. Er gab mir den Hammer zurück. Ich betrachtete die beiden Bretter, die jetzt aussahen, als seien sie aus einem Stück.
»Manchmal gibt es keinen Trick«, sagte Frank im Weggehen, ohne sich die Mühe zu machen, den Kopf zu drehen. »Manchmal muss man einfach fester draufhauen.«
Nachdem wir etwas mehr als drei Monate in Charleston waren, wurde ich sechsundzwanzig. Wenn du mich mit zwanzig gefragt hättest, ob ich damit rechnete, meinen
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