Der Hinterhalt
Zielperson den Hörsaal durch dieselbe Tür verließ, die auch die Studenten benutzt hatten. Er war in ein Gespräch mit einem der Studenten vertieft. Die beiden Leibwächter folgten ihnen mit etwa zwei Schritten Abstand. Der Amerikaner fixierte den Studenten mit strengem Blick. Es hatte den Anschein, als wäre er bereit gewesen, dem armen Kerl den Kopf abzureißen, falls dieser auch nur die kleinste falsche Bewegung machte. Der Student schien das nicht zu bemerken. So viel zur Schulung der Jugend. Der junge Mann würde vielleicht irgendwann einmal ein brillanter Wissenschaftler werden, doch in meinem Job hätte er nicht einen einzigen Tag überlebt.
Dann hörte ich deine Stimme. Sie kam von der anderen Seite des Korridors. Ich erkannte sie sofort. Das zweite Mal innerhalb von vierundzwanzig Stunden hättest du beinahe meine Tarnung auffliegen lassen. Das wurde zu einem lästigen kleinen Hobby von dir.
»Hey, Perverser!«, riefst du, kamst auf mich zu und bliebst ungefähr drei Stufen über mir auf der Treppe stehen. Im Sprechen klapptest du das Schild meiner Mütze hoch. Noch bevor ich eine Chance hatte, dich noch einmal anzublicken, setzten meine Reflexe ein. Ich hielt nach dem großen Australier Ausschau, um zu sehen, ob er dich gehört hatte. Das hatte er. Sein Kopf tauchte aus der Menge auf, und er suchte den Korridor ab. Ich war mir sicher, er suchte nach mir, auch wenn ihm das selbst vielleicht gar nicht bewusst war. Er hatte deine Stimme ebenfalls wiedererkannt. Ich drehte mich um, packte dich unter der Achsel, wobei ich dich beinahe hochhob, und zerrte dich in einen der Seitengänge. Ich hatte keine Zeit, um sanft zu sein. Ich konnte es mir nicht leisten, dass der Bodyguard mich erkannte.
»Hey! Finger weg!«, schriest du und schlugst auf meine Hand ein, als du das Gleichgewicht wiedererlangt hattest.
Ich musste mir schnell etwas einfallen lassen, irgendeine Lüge, um zu rechtfertigen, weshalb ich dich so gepackt hatte. »Hör mal, du kannst mich doch vor meinem Professor nicht einen Perversen nennen. Er hat mich sowieso schon auf dem Kieker.«
Du machtest kreisende Bewegungen mit deinem Arm, als wolltest du testen, ob er noch fest in der Schulterpfanne saß. »Okay, aber du hättest mich einfach bitten können, den Mund zu halten. Du hättest mich doch nicht so zu packen brauchen.«
»Entschuldige.« Dir wehzutun war das Letzte, was ich wollte. »Kommt nicht wieder vor«, versprach ich.
»Genau, das kommt nicht wieder vor. Ich gehe nämlich.« Du warfst dir deinen Rucksack über die Schulter und entferntest dich.
»Warte! Lass mich irgendwas tun, um es wiedergutzumachen. Ich lade dich auf einen Kaffee ein«, rief ich dir hinterher.
»Ach ja?« Du drehtest dich wieder zu mir um. »Ich soll mit dem Strip-Club-Typen einen Kaffee trinken gehen?«
»Ich habe mir nur die Fotos angesehen. Ich bin es nicht gewohnt, so was auf offener Straße zu Gesicht zu bekommen. Außerdem musst du gerade reden, wenn du dich mit Typen anfreundest, die vor Strip-Clubs rumhängen.«
»Wer hat gesagt, wir wären Freunde?«, fragtest du, obwohl du dabei gelächelt hast. Du konntest einfach nicht anders. Ich liebe dieses Lächeln.
»Kaffee?«, fragte ich noch einmal. Du standest etwa drei Meter von mir entfernt im Korridor. Ich vergaß meine Zielperson. Ich vergaß die Bodyguards. In diesem Moment warst du meine ganze Welt. Ich hatte noch nie zuvor so empfunden. Es ging alles so schnell.
»Du zahlst?«
»Klar«, erwiderte ich.
Also gingen wir einen Kaffee trinken, obwohl ich sonst nie Kaffee trinke. Ich dachte mir einfach, dass normale Menschen das tun. Und ich gab mir alle Mühe, normal zu sein. Ich wollte dich auf keinen Fall abschrecken. Du führtest mich zu einem Café unmittelbar neben dem Campus. Das war gut. So war die Wahrscheinlichkeit geringer, dass ich mich plötzlich vor den Leibwächtern meiner Zielperson würde verstecken müssen. Wir plauderten im Gehen. Du fragtest mich, wie mein Ausflug zu dem Strip-Club verlaufen sei. Ich glaube, ich konnte dich schließlich davon überzeugen, dass ich nicht hineingegangen war. Es war seltsam, sich mit dir zu unterhalten. Du schienst kein Pokergesicht zu haben. Alle Karten lagen auf dem Tisch. Das war ich nicht gewohnt. In meiner Welt verbirgt jeder etwas. Jeder ist ein Lügner.
Wir setzten uns, um Kaffee zu trinken – wenngleich ich eine heiße Schokolade bestellte, worüber du dich lustig machtest –, und unterhielten uns weiter. Du setztest die Kapuze deines
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