Der Hinterhalt
hinteren Taschen deiner Jeans. Du lehntest dich gegen den Türrahmen und lächeltest mich an. Ich versuchte, die Signale zu lesen. Dann beugte ich mich vor und küsste dich zum ersten Mal. Wir hielten den Kuss einen Moment lang, ohne uns zu bewegen, und ich hob eine Hand und legte sie dir auf die Wange. Der Kuss war süß und unschuldig, aber dennoch sinnlich. Ein Kuss wie aus einem alten Hollywoodfilm. Als sich unsere Lippen schließlich voneinander trennten, fragte ich dich: »Übrigens, wie heißt du eigentlich?« Maria. Du gabst mir deine Telefonnummer. Obwohl du behauptetest, der Spitzname »Perverser« gefiele dir ziemlich gut, sagte ich dir meinen Namen. Dann verabschiedeten wir uns für diesen Abend, obwohl ich glaube, dass ihn keiner von uns beiden schon beenden wollte. Ich weiß zumindest, dass ich es nicht wollte. Ich schaute dir nach, bis du sicher im Treppenhaus angekommen warst, und wandte den Blick erst ab, als ich dich nicht mehr sehen konnte. Dann begann ich den einsamen Heimweg.
Nachdem ich bei der sicheren Unterkunft angekommen war, legte ich mich ins Bett und konnte wie üblich nicht einschlafen. Diesmal waren es allerdings nicht Sorgen oder Schuldgefühle, die mich wach hielten. Es war Einsamkeit. Ich vermisste dich schon jetzt. Binnen Sekunden, nachdem ich dich hinter deiner Wohnungstür verschwinden sah, vermisste ich dich. Mit deinem Namen und deiner Telefonnummer bewaffnet griff ich nach zwei qualvollen Stunden zum Hörer und wählte. Nach nur anderthalb Freizeichen hobst du ab. Du konntest auch nicht schlafen.
»Maria«, sagte ich. Das war keine Frage. Ich wusste, dass du es bist. Ich wollte nur deinen Namen aussprechen.
»Joseph«, erwidertest du und sagtest meinen vollständigen Namen.
»Komm zu mir«, bat ich dich.
»Jetzt?«, fragtest du.
»Jetzt.«
»Es ist zu spät.« Du lachtest.
»Es ist nie zu spät«, erwiderte ich. In meiner Stimme lag Optimismus. Daran war ich nicht gewöhnt. Ich wiederholte die Worte, damit ich sie noch einmal hören konnte, nur um sicherzugehen, dass ich sie tatsächlich ausgesprochen hatte. »Es ist nie zu spät.«
»Wir haben doch schon ›gute Nacht‹ gesagt, Joe. Ich möchte den perfekten Abend nicht ruinieren.« Dein Tonfall verriet eine Mischung aus Angst und Aufregung.
»Er war aber nicht perfekt«, entgegnete ich.
»Das war er nicht?« Du klangst enttäuscht.
»Nein«, sagte ich.
»Warum nicht?«, fragtest du.
»Weil ich hier bin und du dort bist«, antwortete ich.
In der Leitung herrschte für kurze Zeit Stille. In dieser Pause hörte ich alles, was ich hören musste. »Ich habe Angst, Joe. Das geht mir zu schnell.« Ich hätte dir sagen sollen, dass ich ebenfalls Angst hatte. Ich hatte Angst, meine Chance zu verpassen, wenn es nicht schnell genug ging. Die Tage würden vergehen, und ich würde wieder weg sein. Ich wollte zumindest diesen Moment, zumindest diese Nacht. Wo ich herkomme, können gute Dinge gar nicht zu schnell geschehen. Sie können nur zu langsam geschehen, und wenn sie zu langsam geschehen, sind sie verloren.
»Tja, wenn du nicht zu mir kommst, dann komme ich zu dir.«
»Du kannst nicht hierherkommen. Ich habe eine Mitbewohnerin.«
»Dann komm her. Komm zu mir. Hab keine Angst. Das Leben ist zu kurz, um Angst zu haben.«
Wieder eine Pause. »Okay«, sagtest du schließlich. »Wo bist du?« Ich nannte ihr die Adresse meines Appartements. »Ich bin in zwanzig Minuten da.«
Ich zog mich wieder an. Dann setzte ich mich aufs Sofa und wartete. Trotz der Kälte öffnete ich ein Fenster, weil ich hoffte, dich zu hören, wenn du dich dem Gebäude näherst. Fünfzehn Minuten vergingen. Während dieser fünfzehn Minuten beobachtete ich, wie die Zeit auf der Uhr verstrich. Dann klingelte es. Ich hielt mich nicht damit auf, über die Sprechanlage zu fragen, wer da sei. Es musstest du sein. Ich drückte den Türöffner, um dich ins Haus zu lassen, blieb an der Tür stehen und lauschte deinen Schritten im Treppenhaus, als du die Stufen hinaufstiegst. Du gingst schnell, bis du unmittelbar vor der Wohnungstür standest. Dann war da dieser Moment. Ein Moment, in dem Erwartung und Wirklichkeit miteinander gleichzogen. Er hatte etwas Kosmisches. Du zögertest anzuklopfen. Ich beschloss, dein Klopfen nicht abzuwarten. Ich wollte dir keine Zeit geben, um an dir zu zweifeln. Deshalb öffnete ich die Tür, und du standest vor mir. Du sahst verängstigt, aber erregt aus – erregt, weil du deine Ängste ignoriert hast, und verängstigt
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