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Der Hinterhalt

Der Hinterhalt

Titel: Der Hinterhalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevor Shane
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dich ebenfalls nehmen würde.
    »Du musst es mir sagen«, fordertest du mich auf, während sich Tränen in deinen Augen sammelten.
    »Ich weiß«, erwiderte ich. Mir waren die Ausreden ausgegangen. Der Rest meines Lebens hing von diesem Moment ab. Mir blieb nichts anderes übrig, als über den Rand des Abgrunds zu treten. Ich sprang. »Alles, was ich dir gleich erzählen werde, wird für dich absurd klingen.« Du öffnetest den Mund, um etwas zu sagen, um mir Mut zu machen, um mir weitere Versprechen zu geben, zu denen du kein Recht hattest. Ich hob die Hand, um dich zu stoppen, bevor du anfangen konntest. »Alles, was ich dir gleich erzählen werde, wird für dich absurd klingen. Ich glaube, dass du mir inzwischen vertraust, deshalb wirst du vermutlich nicht denken, ich würde lügen. Wahrscheinlich wirst du mich eher für verrückt halten.« Ich sah zu dir auf. Du starrtest mich mit ungläubigem Blick an. »Lass mich dir als Erstes versichern, dass ich nicht verrückt bin. Auch wenn du dir das vielleicht wünschen wirst, sobald ich fertig bin.« Ich beobachtete weiterhin dein Gesicht und versuchte, deine Reaktion zu lesen. Auf diese Weise würde ich durch diese gefährlichen Gewässer navigieren. Auf deiner Stirn zeichneten sich Linien ab. Du begannst daran zu zweifeln, ob du die Wahrheit überhaupt wissen wolltest, doch dafür war es jetzt zu spät. Es gab kein Zurück mehr. Trotzdem waren diese Zweifel ein guter Anfang. Auch die Jugendlichen, die ich unterrichtete, hatten Zweifel. Sie zweifelten daran, dass die Welt einen Sinn ergab. Sie zweifelten an fast allem. Die starken zweifelten an allem, außer an sich selbst. Man musste sie brechen und anschließend wieder aufbauen. Mit Fotos wäre das Ganze so viel einfacher gewesen.
    Zweifel, dann Tod: Die Leute vom Geheimdienst baten alle Jugendlichen, die enge Angehörige durch einen Mord verloren hatten, die Hand zu heben. Zwangsläufig hob jedes Mal mehr als die Hälfte aller im Raum die Hand. Dir musste ich meine Verbindung mit dem Tod erklären. »Ich weiß, das wird jetzt seltsam klingen«, sagte ich, »aber ich muss dir ein bisschen was über meine Familie erzählen.« Als Erstes erzählte ich dir von meiner Mutter, der netten, naiven kleinen Frau, die allein in New Jersey lebte. Du lächeltest, als ich dir meine Mutter beschrieb. Dein Lächeln machte es schwieriger, aber ich fuhr fort. »Sie ist meine ganze Familie. Sie ist alles, was davon noch übrig ist.« Ich hielt einen Moment inne, wartete, bis das in dein Bewusstsein gedrungen war. »Alle anderen – meine Großeltern, meine Tante, meine Onkel, meine Schwester –, alle anderen sind tot.« Deine blasse Haut wurde plötzlich noch weißer. »Sie wurden getötet. Und zwar nicht bei irgendeinem Unglück. Sie wurden getrennt voneinander getötet. Sie wurden ermordet.«
    Deine Angst wich schnell Verwirrung. »Warum?«
    »Dazu komme ich noch«, erwiderte ich. Bevor es so weit war, musste ich dich jedoch noch tiefer in den Tod tauchen. Ich musste dir das Wie vor dem Warum präsentieren. Ich musste dir die Details zeigen, so wie den Jugendlichen in der Einführungsveranstaltung die grauenhaften Fotos gezeigt wurden.
    »Mein Vater wurde getötet, als ich acht war. Eines Tages kam er nicht von der Arbeit nach Hause. Mir wurde gesagt, er sei bei einem Autounfall gestorben. Ich nehme an, das hat genau genommen auch gestimmt. Die Einzelheiten habe ich erst mit achtzehn erfahren. In Wirklichkeit hat ihn ein anderer Fahrer absichtlich von der Straße gedrängt. Sie warteten, bis er auf einer kurvigen Straße fuhr, die an einer Schlucht entlangführte. Dann rammten sie ihn von hinten und schoben ihn über die Böschung. Für mich war er an einem Abend da und am nächsten weg. Damit begann alles. Von meinen Großeltern hatte ich nur einen Teil kennengelernt, deshalb begann für mich alles mit meinem Vater.« Dann erzählte ich dir von meinem Onkel. Ich erzählte dir dieselbe Geschichte, die ich auch erzähle, wenn ich unterrichte. Allerdings ließ ich die zweite Hälfte weg, als ich sie dir erzählte, das, was ich mit dem Mann machte, der meinen Onkel tötete. Dieser Teil der Geschichte konnte noch warten. Anschließend erzählte ich dir von meiner Schwester.
    »Meine Schwester war fünf Jahre älter als ich. Sie war immer für mich da. Sie passte immer auf mich auf. Meine Mutter war trotz aller ihrer Tugenden noch nie die stärkste Frau auf dieser Welt. Nachdem mein Vater ums Leben gekommen war, blieb nur meine

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