Der Hintermann
ebenfalls ungenannten Londoner Kunsthändler auf und fragte ihn, ob er den Auftrag übernehmen wolle. Der Galerist war sehr beschäftigt – tatsächlich aalte er sich gerade an der Costa del Sol –, deshalb kam er erst Ende September dazu, den Adligen auf seinem Landsitz zu besuchen. Der Händler fand die Sammlung milde gesagt glanzlos, erklärte sich aber bereit, dem Adligen ein paar Bilder abzunehmen, darunter ein sehr schmutziges Gemälde, das der Werkstatt Palma Vecchios zugeschrieben wurde. Der Gesamtpreis wurde nie genannt, aber er soll ziemlich niedrig gewesen sein.
Aus ungeklärten Gründen ließ der Händler die Gemälde lange in seinem Lager stehen, bevor er eine hastige Reinigung des bewussten Palma Vecchios in Auftrag gab. Die Identität des Restaurators wurde nie bekannt, aber alle waren sich darüber einig, er habe in bemerkenswert kurzer Zeit ausgezeichnete Arbeit geleistet. Tatsächlich war das Gemälde anschließend so ansehnlich, dass es Oliver Dimbleby, dem bekannten Altmeisterhändler in der Bury Street, ins Auge stach. Oliver sicherte es sich im Tausch – gegen welche Gemälde blieb unbekannt – und stellte es prompt in seiner Galerie aus, Besichtigung nur nach Vereinbarung.
Dort blieb es jedoch nicht lange. Tatsächlich wurde es keine achtundvierzig Stunden später von der Luzerner Firma Onyx Innovative Capital gekauft. Oliver verhandelte nicht direkt mit der OIC, sondern mit einem freundlichen Mr. Samir Abbas von der TransArabian Bank. Nachdem die letzten Einzelheiten beim Tee im Hotel Dorchester geklärt waren, überreichte Abbas Oliver einen Scheck über 22 000 Pfund. Oliver reichte ihn rasch bei der Lloyds Bank ein, womit der Handel perfekt war, und machte sich an das mühsame Geschäft, eine Ausfuhrlizenz zu beantragen.
An dieser Stelle glitt die Sache ins Katastrophale ab, zumindest aus Olivers Sicht. Denn an einem scheußlichen Nachmittag Ende Januar erschien in Olivers Galerie ein kleiner Mann, der viele Lagen verknitterter Kleidung trug und mit einer einzigen Frage alles über den Haufen warf. Wer dieser Mann war, hat Oliver nie verraten, aber er schilderte ihn als Experten für Gemälde der Venezianischen Schule. Was die von ihm gestellte Frage betraf, war Oliver gern bereit, sie wörtlich zu wiederholen. Spendierte man ihm ein gutes Glas Sancerre, spielte er einem sogar die ganze Szene vor. Oliver liebte nichts mehr, als Storys über sich selbst zu erzählen, auch wenn sie ihn in wenig vorteilhaftem Licht zeigten, was fast immer der Fall war.
»Hören Sie, Oliver, alter Junge, ist dieser Tizian schon verkauft?«
»Kein Tizian, mein guter Mann.«
»Wissen Sie das bestimmt?«
»Todsicher.«
»Von wem ist das Bild sonst?«
»Palma.«
»Wirklich? Ziemlich gut für einen Palma. Werkstatt oder der Mann selbst?«
»Werkstatt, mein Lieber. Werkstatt.«
Darauf beugte die verknitterte Gestalt sich nach vorn, um das Gemälde näher zu begutachten – eine Haltung, die Oliver spätabends im Green’s unter dem brüllenden Gelächter seiner Kollegen imitierte.
»Verkauft, was?«, fragte der kleine Mann, indem er sich am Ohrläppchen zupfte.
»Erst letzte Woche«, sagte Oliver.
»Als ein Palma?«
»Werkstatt, mein Lieber. Werkstatt.«
»Für wie viel?«
»Mein guter Mann!«
»An Ihrer Stelle würde ich versuchen, da irgendwie rauszukommen.«
»Aber wozu denn?«
»Sehen Sie sich die Komposition an. Sehen Sie sich die Pinselführung an. Sie haben sich gerade einen Tizian entwischen lassen. Schande über Sie, Oliver. Lassen Sie den Kopf hängen. Bekennen Sie Ihre Sünden.«
Oliver tat nichts dergleichen, aber er telefonierte sofort mit einem alten Kumpel im British Museum, der mehr über Tizian vergessen hatte, als die meisten Kunsthistoriker jemals über ihn wissen würden. Der Kumpel kam in sintflutartigem Regen nach St. James’s und sah wie der einzige Überlebende eines Schiffbruchs aus, als er vor der Staffelei mit dem Gemälde stand.
»Oliver! Wie konntest du nur?«
»Ist es so offenkundig?«
»Ich würde meinen Ruf darauf verwetten.«
»Du hast wenigstens einen. Meiner ist futsch, wenn das rauskommt.«
» Eine Möglichkeit bleibt dir noch.«
»Nämlich?«
»Ruf Mr. Abbas an. Sag ihm, der Scheck sei geplatzt.«
Darauf war Oliver Dimbleby natürlich schon selbst gekommen. Tatsächlich verbrachte er die folgenden achtundvierzig Stunden vor allem damit, einen legalen und moralisch akzeptablen Ausweg aus seinem Dilemma zu suchen. Weil er keinen fand
Weitere Kostenlose Bücher