Der Hintermann
Krieges«, getauft. Natürlich war dies ein Untergrundkrieg, denn für Carter gab es keine andere Kampfweise.
Adrian Carter hatte sich nicht nach Macht gesehnt. Sie war dennoch Baustein für Baustein auf seine schmalen Schultern gelegt worden. Nachdem er schon als Student von der Agency angeworben worden war, hatte er den größten Teil seiner Laufbahn damit verbracht, einen Geheimkrieg gegen die Russen zu führen – erst in Polen, wo er die Gewerkschaft Solidarność mit Geld und Kopiergeräten versorgt hatte. Dann in Moskau, wo er Stationschef gewesen war. Und zuletzt in Afghanistan, wo er die Gotteskrieger unterstützt und bewaffnet hatte, obwohl er wusste, dass sie eines Tages Pech und Schwefel auf ihn herabregnen lassen würden. Afghanistan hatte sich nicht nur als Fiasko für das Reich des Bösen erwiesen, sondern Carter auch einen Karrieresprung beschert. Den Zerfall der Sowjetunion verfolgte er nicht im Außendienst, sondern in einem behaglichen Büro in Langley, wo er vor Kurzem zum Chef der Europaabteilung befördert worden war. Während seine Untergebenen den Fall ihres Feindes bejubelten, beobachtete Carter diese Entwicklung mit düsteren Vorahnungen. Die Agency hatte den Zusammenbruch des Kommunismus nicht vorausgesagt – ein schwerer Fehler, der Langley noch jahrelang nachhängen sollte. Noch schlimmer war, dass die CIA von einem Tag zum anderen ihre Existenzberechtigung verloren hatte.
Das änderte sich am Morgen des 11. Septembers 2001. Der darauf folgende Krieg würde in dem Schattenreich geführt werden, das Adrian Carter vertraut war. Während das Pentagon sich bemühte, eine militärische Antwort auf den 11. September zu finden, arbeiteten Carter und sein Stab im Zentrum für Terrorismusbekämpfung einen kühnen Plan aus, um die al-Qaida in ihrem Rückzugsraum Afghanistan durch einen von der CIA finanzierten Guerillakrieg unter Führung amerikanischer Spezialeinheiten zu bekämpfen. Und als den Amerikanern immer mehr Kommandeure und einfache Kämpfer der al-Qaida in die Hände fielen, hatte Carter an seinem Schreibtisch oft über sie zu urteilen. Die Geheimgefängnisse, die Entführungen und die brutalen Verhörmethoden trugen alle Carters Handschrift. Er bereute nichts davon, diesen Luxus konnte er sich nicht leisten. Für Adrian Carter war jeder Morgen ein 12. September. Er hatte sich geschworen, niemals wieder Zeuge werden zu müssen, wie Amerikaner von Wolkenkratzern sprangen, weil sie die Hitze eines von Terroristen gelegten Brandes nicht mehr ertragen konnten.
Zehn Jahre lang hatte Carter es geschafft, dieses Versprechen zu halten. Obwohl niemand mehr getan hatte, um Amerika vor einem von vielen erwarteten zweiten Angriff zu schützen, war er wegen seiner zahlreichen geheimen Sünden von den Medien an den Pranger gestellt und sogar mit Strafverfolgung bedroht worden. Auf Anraten der Rechtsabteilung der Agency hatte er sich einen unverschämt teuren Washingtoner Anwalt genommen – eine Extravaganz, die seine Ersparnisse aufgezehrt und seine Frau Margaret gezwungen hatte, in den Schuldienst zurückzukehren. Freunde hatten Carter gedrängt, bei der CIA zu kündigen und einen lukrativen Posten in der boomenden Washingtoner Sicherheitsbranche anzunehmen, aber das hatte er abgelehnt. Dass er den 11. September nicht vorausgesagt hatte, nagte weiter an ihm. Und die Geister der dreitausend Opfer zwangen ihn dazu, weiterzukämpfen, bis der Feind besiegt sein würde.
Dieser Krieg hatte seinen Tribut von Carter gefordert – nicht nur in Bezug auf seine Ehe, die zerrüttet war, sondern auch gesundheitlich. Sein Gesicht war schmal und abgezehrt, und Gabriel fiel auf, dass seine rechte Hand leicht zitterte, als er sich an dem auf dem Sideboard im Speisezimmer aufgebauten Frühstücksbüfett bediente.
»Hoher Blutdruck«, erklärte er Gabriel, während er sich aus einer Thermoskanne Kaffee einschenkte. »Seit dem Tag der Amtseinführung des Präsidenten. Er steigt und fällt in Relation zur Terrorgefahr. Traurig, aber wahr: Nach zehn Jahren Kampf gegen den islamischen Terror bin ich wohl zu einer lebenden, atmenden Gefährdungsskala geworden.«
»Auf welcher Stufe stehen wir heute?«
»Haben Sie das nicht mitbekommen?«, fragte Carter. »Die alte Kennzeichnung nach Farben ist abgeschafft.«
»Was sagt Ihr Blutdruck Ihnen?«
»Rot«, antwortete Carter missmutig. »Grellrot.«
»Nicht nach Aussage der Direktorin Ihrer Heimatschutzbehörde. Sie sagt, dass es keine unmittelbare
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