Der Hintermann
müssen, nehme ich an.«
» Vertrauen ?«, fragte Schamron. »Tut mir leid, Gabriel, aber dieses Wort kenne ich nicht. Eines musst du mir versprechen, Gabriel: Bestehst du darauf, sie einzusetzen, darfst du auf keinen Fall den gleichen Fehler wie die Amerikaner mit Raschid machen. Betrachte sie als Todfeindin und behandle sie entsprechend.«
»Willst du nicht mitkommen, Ari? In unserem Château haben wir ausreichend Platz für dich.«
»Ich bin ein alter Mann«, sagte Schamron trübselig. »Ich wäre nur im Weg.«
»Was hast du stattdessen vor?«
»Ich werde hier allein herumsitzen und mir Sorgen machen. Das scheint inzwischen mein Los zu sein.«
»Fang nicht an, dir vorab unnötige Sorgen zu machen. Vielleicht kommt Nadia gar nicht.«
»Doch, sie kommt«, sagte Schamron.
»Wie willst du dir da so sicher sein?«
»Weil sie im Herzen weiß, dass es deine Stimme ist, die ihr ins Ohr flüstert. Und sie wird der Gelegenheit, dir ins Gesicht zu sehen, nicht widerstehen können.«
Die Einsatzvorschriften hätten Gabriels sofortige Rückkehr ins Château Treville gefordert, aber es war ihm ein persönliches Bedürfnis, vorher noch zur Champs-Élysées zu pilgern. Als er kurz nach Mitternacht dort eintraf, stellte er fest, dass alle Spuren des Bombenanschlags sorgfältig beseitigt worden waren. Die Geschäfte und Restaurants waren renoviert worden. Die Gebäude hatten neue Fenster und einen frischen Anstrich bekommen. Vom Pflaster war das Blut abgewaschen worden. Es gab kein Zeichen als Ausdruck von Empörung, keine Erinnerung an die Opfer, kein Aufruf zur Vernunft in einer verrückt gewordenen Welt. Hätten nicht an der Straßenecke zwei Polizisten Wache gehalten, hätte man leicht glauben können, hier sei nie etwas Grausames passiert. Einen Augenblick lang bedauerte Gabriel seinen Entschluss, hergekommen zu sein. Doch in dem Moment, als er sich gerade zur Rückkehr abwandte, ging von seinem Team in Seraincourt eine sichere E-Mail bei ihm ein, die seine Stimmung schlagartig besserte. Wie ein abgehörtes Telefongespräch zeigte, hatte Nadia al-Bakari, die Tochter des Mannes, den Gabriel im Alten Hafen von Cannes erschossen hatte, soeben eine Reise nach St. Petersburg abgesagt. Gabriel steckte das Blackberry wieder ein und ging durch die Lichtkreise der Straßenlampen die Champs-Élysées weiter entlang. Der Schleier, der gerade noch die Zukunft in Nebel gehüllt hatte, hatte sich schlagartig verzogen. Er sah vor seinem inneren Auge eine Schönheit mit rabenschwarzem Haar, die den Vorhof eines Châteaus nördlich von Paris überquerte. Und einen alten Mann, der allein in einer Wohnung in Montmartre saß und vor Sorgen fast umkam.
27
P ARIS
Nadia al-Bakari rief Zoe Reed am folgenden Morgen um 10.22 Uhr persönlich an, um sie zum Tee in ihre Stadtvilla an der Avenue Foch einzuladen. Zoe lehnte höflich ab. Sie sagte, sie habe schon etwas anderes vor.
»Ich verbringe den Nachmittag bei einem alten Freund aus London. Er hat als Investor Millionen verdient und sich ein Schloss im Val-d’Oise gekauft. Er gibt eine kleine Party für mich, denke ich.«
»Eine Geburtstagsparty?«
»Woher wissen Sie das?«
»Vor unserem Lunch im Crillon hat mein Sicherheitsdienst Sie diskret überprüft. Ab heute gehören Sie zu den Dreißigjährigen …«
»Bitte sprechen Sie das nicht laut aus. Ich versuche so zu tun, als sei das ein schlechter Traum.«
Nadia musste lachen. Dann fragte sie, wie Zoes Freund aus London heiße.
»Fowler. Thomas Fowler.«
»Bei welcher Firma ist er?«
»Thomas ist bei keiner Firma. Thomas ist militant selbstständig. Vor ein paar Jahren haben Sie ihn anscheinend mal in der Karibik kennengelernt. Auf einer der französischen Inseln. Ich weiß nicht mehr, welche. St. Barts, glaube ich. Oder vielleicht Antigua.«
»Auf Antigua war ich noch nie.«
»Dann muss es St. Barts gewesen sein.«
Am anderen Ende herrschte Schweigen.
»Sind Sie noch da?«, fragte Zoe.
»Ja, ja …«
»Ist irgendwas nicht in Ordnung?«
»Wo habe ich ihn kennengelernt?«
»In einer Bar an einem der Strände, sagt er.«
»In welcher Bar?«
»Das weiß ich nicht.«
»An welchem Strand?«
»Ich glaube nicht, dass Thomas das erwähnt hat.«
»War er an diesem Tag allein?«
»Tatsächlich war er mit seiner Frau dort. Eine sehenswerte Erscheinung. Manchmal ein bisschen arrogant, aber das liegt wohl an den Umständen.«
»An welchen Umständen?«
»Dass sie die Frau eines Milliardärs wie Thomas
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