Der Hintermann
italienisches Lied trällern. Er lächelte. Chiara sang immer, wenn sie allein war.
Er ließ seinen Rollkoffer in der Diele stehen und folgte der Stimme ins Wohnzimmer, das in ein provisorisches Operationszentrum umfunktioniert worden war. Chiara starrte auf einen Bildschirm, während sie sich eine Orange schälte. Als Gabriel sie küsste, waren ihre Lippen auffällig warm, als habe sie Fieber. Er küsste sie lange.
»Ich bin Chiara Allon«, murmelte sie, während sie seinen Zehntagebart streichelte. »Und wer bist du?«
»Das weiß ich selbst kaum noch.«
»Im Alter lässt oft das Gedächtnis nach«, sagte sie und küsste ihn noch mal. »Du solltest es mit Fischtran versuchen. Der hilft angeblich.«
»Ich hätte lieber ein Stück von deiner Orange.«
»Das kann ich mir denken. Du warst lange fort.«
»Viel zu lange.«
Sie teilte die Orange und steckte Gabriel ein Stück davon in den Mund.
»Wo sind die anderen?«, fragte er.
»Sie überwachen einen Angestellten der TransArabian Bank, der zufällig auch Verbindung zu weltweit operierenden Terrororganisationen hat.«
»Du bist also ganz allein?«
»Jetzt nicht mehr.«
Gabriel knöpfte Chiaras Bluse auf. Ihre Brustwarzen wurden unter seinen Fingern sofort steif. Sie steckte ihm noch ein Orangenstück in den Mund.
»Vielleicht sollten wir das nicht vor einem Computer machen«, sagte sie. »Man weiß nie, ob man vielleicht beobachtet wird.«
»Wie viel Zeit haben wir?«
»So viel du willst.«
Sie nahm seine Hand und führte ihn nach oben. »Langsam«, sagte sie, als er sie zu sich aufs Bett zog. »Langsam.«
Das Schlafzimmer lag im Halbdunkel, als Gabriel erschöpft von Chiaras Körper glitt. Sie blieben lange schweigend nebeneinander liegen: vertraut nahe, aber ohne sich zu berühren. Von draußen drang das leise Brummen eines vorbeifahrenden Schiffs herein, und wenig später schlugen kleine Wellen an den Bootssteg des Hauses. Chiara stützte sich auf einen Ellbogen und fuhr mit dem Zeigefinger über Gabriels Nasenrücken.
»Wie lange willst du ihn behalten?«
»Weil ich ihn zum Atmen brauche, will ich ihn möglichst lange behalten.«
»Ich rede von deinem Bart, Liebster.«
»Ich hasse ihn, aber irgendwie ahne ich, dass ich ihn bei diesem Unternehmen noch brauchen werde.«
»Vielleicht solltest du ihn auch anschließend noch behalten. Ich finde, du siehst damit …« Sie brachte den Satz nicht zu Ende.
»Sag’s bitte nicht, Chiara.«
»Ich wollte kultiviert sagen.«
»Das ist so, als würde man eine Frau elegant nennen.«
»Was ist daran verkehrt?«
»Das wirst du merken, wenn die Leute anfangen, deine elegante Erscheinung zu loben.«
»Da gibt es sicher Schlimmeres.«
»Aber das wird nie passieren, Chiara. Du bist schön und wirst immer schön sein. Und wenn ich mir diesen Bart nicht wieder abnehme, werden die Leute anfangen, dich für meine Tochter zu halten.«
»Jetzt redest du Unsinn.«
»Biologisch wäre das möglich.«
»Was denn?«
»Du könntest meine Tochter sein.«
»Darüber habe ich noch nie nachgedacht.«
»Tu’s nicht«, sagte er.
Sie lachte in sich hinein und sagte nichts weiter.
»Woran denkst du jetzt?«, fragte Gabriel.
»Was wohl passiert wäre, wenn du nicht auf der Wellington Street den jungen Mann mit dem Sprengstoffgürtel entdeckt hättest. Wir hätten zum Zeitpunkt der Detonation beim Lunch gesessen. Das wäre natürlich eine Tragödie gewesen, aber unser Leben wäre wie das aller anderen Leute ganz normal weitergegangen.«
»Vielleicht ist dies für uns normal, Chiara.«
»Normale Paare lieben sich nicht in sicheren Häusern.«
»Mir hat’s eigentlich immer Spaß gemacht, dich in sicheren Häusern zu lieben.«
»Ich habe mich in einem sicheren Haus in dich verliebt«, sagte Chiara.
»In welchem?«
»Rom«, sagte sie. »In der kleinen Wohnung an der Via Veneto, in die ich dich mitgenommen habe, nachdem die Polizia di Stato versucht hatte, dich in dieser grässlichen Pension am Bahnhof zu liquidieren.«
»Pensione Abruzzi«, murmelte Gabriel. »Ein echtes Loch.«
»Aber die Wohnung war sehr hübsch.«
»Du hast mich kaum gekannt.«
»Tatsächlich habe ich dich sehr gut gekannt, mein Lieber.«
»Du hast mir Fettuccine mit Pilzen gemacht.«
»Meine Fettuccine mit Pilzen mache ich nur für Leute, die ich liebe.«
»Mach mir jetzt welche.«
»Erst musst du arbeiten.«
Chiara betätigte einen Schalter über dem Kopfende des Betts. Der Strahl einer winzigen Halogen-Leselampe bohrte sich
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