Der Hirte (German Edition)
machte einen weiteren Schritt. Johannes zerrte den letzten Wolf, den, der sich vom Kampfplatz davongeschleppt hatte und dann verendet war, an den Hinterläufen durch den Schnee zu den anderen. Rainald ließ ihn gewähren. Er wusste, dass die Wölfe hierher nicht mehr zurückkommen würden; wozu auch, es gab noch tausend Plätze, an denen sie über sie herfallen konnten.
Schwester Venia folgte ihm, bis er außer Hörweite Blankas war. Als Rainald stehenblieb und mit dem verletzten Bein verbissen aufstampfte, blieb sie neben ihm stehen und betrachtete ihn stumm.
Rainald schnaubte. „Erinnert Ihr Euch daran, dass ich sagte, Gott solle sich raushalten? Was passierte, ist, dass er sich eingemischt hat.“
Sie nickte. Rainald holte Atem. Plötzlich wusste er nicht, ob er imstande sein würde, die Geschichte zu erzählen, doch er wusste, dass er sie erzählen wollte .
„Ich war auf der Jagd“, sagte er. „Halb zum Vergnügen, halb wegen des Essens. Der Winter hatte die Vorräte ausgedünnt, wir hatten kaum noch etwas in den Fässern, und meine Pächter ernährten sich schon wochenlang von den Rüben, die sie im Herbst im Sand verbuddelt hatten. Wir würden nur mageres Zeug fangen und vielleicht das eine oder andere Jungtier, das war mir klar, aber weiter zu hungern war keine Alternative, schon gar nicht für die Pächter … es gab Kinder, ein paar waren krank …“ Er merkte, dass er einmal mehr nach der Rechtfertigung griff, warum er nicht zu Hause auf seiner Burg gewesen war. Er hatte diese Rechtfertigung die ganzen Monate auch vor sich selbst rezitiert, ohne sie zu glauben.
„Man kann nicht das Leben eines freien Mannes führen, ohne sich Feinde zu machen“, sagte er. Schwester Venia erwiderte nichts. Rainald fühlte sich hilflos. Wenn ihr ruhiger, nachdenklicher Blick nicht gewesen wäre … wenn sie nicht geschwiegen, sondern eine mitfühlende Bemerkung gemacht hätte … er hätte seine Erzählung abgebrochen. Doch sie musterte ihn nur, dunkle Augen und ein unter dem Gebende fast jugendlich wirkendes Gesicht, dem die Strapazen am wenigsten von ihnen allen anzusehen war, und er fühlte sich fast gezwungen, diesem Gesicht alles zu sagen, weil es bei aller Offenheit und aller Jugend manchmal so wirkte, als habe es schon den größten Schmerz gesehen, erlebt – und hinter sich gelassen.
„Ich habe keine Fehden geführt“, sagte Rainald. „Aber ich habe auf etlichen Turnieren gewonnen. Nicht immer nimmt es ein Gegner sportlich auf, wenn er eine Menge Lösegeld für sein Pferd und seine Ausrüstung zahlen muss.“
„Du weißt nicht, wer es war, oder?“
„Sie müssen mich beobachtet haben. Sie wussten, dass ich und meine Männer und der größte Teil der Pächter in den Wäldern unterwegs waren. Ich habe die Spuren gesehen: sie waren höchstens ein Dutzend, mehr nicht. Sie hätten eine kleine Armee benötigt, wenn ich zu Hause gewesen wäre.“
Rainald schluckte. Er sah sich wieder, wie er plötzlich innehielt, weil ein paar seiner Treiber die Köpfe wandten und schnupperten; er erinnerte sich, dass er selbst geschnuppert hatte und wie er erkannt hatte, dass es Rauchgeruch war, der über dem strengen Duft seines schwitzenden Pferdes vernehmbar war. Er erinnerte sich an die Angst, mit der er Caesar die Sporen gegeben und allen voran zurück nach Hause geprescht war, weil der Rauchgeruch nicht nach einem friedlichen Kaminfeuer roch und hier, in der unmittelbaren Umgebung seines eigenen Besitzes, nur bedeuten konnte, dass es in seinem Haus brannte. Er erinnerte sich an das namenlose Entsetzen, als er die brennenden Pächterhütten gesehen hatte und die reglosen Körper dazwischen und das offen hin und her schwingende Tor zu seiner Burg …
„Ich sah die Hunde als erstes“, sagte er mit weit aufgerissenen Augen und starrte an Schwester Venias Gesicht vorbei dem Zusammenbruch seines Lebens ein zweites Mal ins Auge. „Sie hatten versucht, ihr Heim zu verteidigen. Ihre Körper steckten voller Pfeile.“
Irgendwie musste er nach oben gekommen sein in den Saal. Er wusste es nicht mehr. Alles, was man von den Wänden reißen konnte, hatten die Angreifer von den Wänden gerissen. Alles, was man hatte zerhacken, zerschmettern, zerfetzen können, war in Trümmern. Eine kalte Hand hatte seine Innereien erfasst und presste sie erbarmungslos zusammen. Er war nur undeutlich gewahr, dass seine Männer nach ihm in den Saal platzten und entsetzt zurückprallten. Er wusste, was er finden würde. Er wusste es … es war, als
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