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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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vorbeikamen, schienen uns die alten Männer zu bemerken und blickten neugierig einen Moment lang zu uns auf. Wir mussten wie Ausländer wirken, auch wenn sich Helens Gesicht aufs Schönste in die der Menschen um uns herum einfügte. Ich fragte mich, wie lange das Spiel der Alten wohl dauern würde – vielleicht den ganzen Morgen – und wer von den beiden dieses Mal gewinnen mochte.
    Der Stand, neben dem sie saßen, wurde gerade erst geöffnet. Es war mehr ein Schuppen, der unter einem ehrwürdigen Feigenbaum an den Rand des Basars gequetscht war. Ein junger Mann mit weißem Hemd und dunkler Hose zog kräftig an den Türen des Verschlags, schob Vorhänge zur Seite und machte sich daran, Tische aufzustellen und seine Waren darauf auszubreiten: Bücher. Sie türmten sich auf den hölzernen Ladentischen, rutschten aus Kisten auf den Boden und füllten drinnen die Regale an den Wänden.
    Ich trat neugierig einen Schritt näher heran, und der junge Besitzer nickte mir mit einem Lächeln grüßend zu, als sei jeder Bibliophile für ihn klar zu erkennen, ganz gleich, aus welchem Land er stamme. Helen kam langsam hinter mir her, und wir schauten uns Bücher in vielleicht einem Dutzend Sprachen an. Viele waren auf Arabisch oder im modernen Türkisch gschrieben, ich sah griechische und kyrillische Buchstaben, anderes auf Englisch, Französisch, Deutsch und Italienisch. Ich fand einen hebräischen Band und ein ganzes Regalbrett voller lateinischer Klassiker. Fast alles war billig gedruckt und schäbig gebunden, die meisten Einbände bereits angeschmutzt und unansehnlich. Es gab ein paar Taschenbücher mit grellen Szenen auf dem Umschlag, anderes sah sehr alt aus, besonders ein paar der arabischen Bücher. ›Die Byzantiner liebten Bücher‹, murmelte Helen und blätterte ein zweibändiges Werk mit offenbar deutschen Gedichten durch. ›Vielleicht haben sie auch genau hier an diesem Ort Bücher gekauft.‹
    Der junge Mann war mit seinen Vorbereitungen fertig und kam zu uns herüber, um uns zu begrüßen. ›Sprechen Deutsch? Englisch?‹
    ›Englisch‹, sagte ich schnell, da Helen keine Antwort gab.
    ›Ich habe Bücher auf Englisch‹, sagte er mit einem angenehmen Lächeln. ›Kein Problem.‹ Sein Gesicht war schmal und ausdrucksstark, mit großen grünlichen Augen und einer langen Nase. ›Auch Zeitung aus London, New York.‹ Ich dankte ihm und fragte, ob er alte Bücher habe. ›Ja, sehr alt.‹ Er gab mir eine Ausgabe von Shakespeares Viel Lärm um nichts aus dem neunzehnten Jahrhundert; billig aussehend und mit einem abgegriffenen Einband. Ich fragte mich, aus wessen Bibliothek das Buch wohl stammen mochte und wie es schließlich – sagen wir, aus einem gutbürgerlichen Haus in Manchester – hierher gelangt war, an diesen Kreuzweg der alten Welt. Ich blätterte freundlich darin herum und gab es ihm zurück. ›Nicht alt genug?‹, fragte er mit einem Lächeln.
    Helen hatte mir über die Schulter gesehen und blickte jetzt demonstrativ auf ihre Uhr. Nun hatten wir es doch nicht bis zur Hagia Sophia geschafft. ›Ja, wir müssen gehen‹, sagte ich.
    Der junge Buchhändler verneigte sich höflich, das Buch in der Hand. Ich starrte ihn eine Sekunde lang an, verwirrt von etwas, was mir wie das Wiedererkennen von etwas anderem vorkam, aber schon hatte er sich weggedreht und half einem neuen Kunden, einem alten Mann, der wie ein Drilling zu den beiden Schachspielern passte. Helen fasste mich am Ellbogen, und wir ließen den Stand hinter uns, gingen etwas zielgerichteter am Rande des Basars entlang und schlugen dann den Weg zurück zu unserer Pension und zu unserem Treffpunkt ein.
    Turgut Bora war noch nicht da, als wir das Restaurant betraten, aber ein paar Minuten später erschien er in der Tür, nickte und lächelte und fragte uns, wie wir geschlafen hätten. Er trug an diesem Morgen trotz der sich sammelnden Hitze einen olivenfarbenen Wollanzug und schien voller mühsam in Zaum gehaltener Aufregung. Sein silbernes Haar war zurückgekämmt, seine Schuhe glänzten frisch poliert, und voller Tatendrang schob er uns aus dem Lokal. Er war ein Mensch mit viel Energie, und ich verspürte Erleichterung darüber, solch einen Führer zu haben. Auch mich packte die Erregung. Rossis Unterlagen ruhten sicher in meiner Aktentasche, und vielleicht würden mich die nächsten Stunden näher an ihren Ursprung bringen. Wenigstens würde ich bald schon seine Kopien mit den Originalen vergleichen können, die er vor so vielen Jahren

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