Der Historiker
über den Sie schreiben werden? Ich habe etliches Material, das Ihnen nützlich sein könnte, und ich hätte nichts dagegen, wenn Sie sich hier einmal umsehen, falls Sie das möchten.‹
Ranov rutschte auf seinem Stuhl herum, und wieder wurde mir bewusst, wie wenig ich es mochte, dass er uns so beobachtete. Glücklicherweise schien sein Interesse im Moment Irinas hübschem Profil auf der anderen Seite des Raumes zu gelten. ›Nun‹, sagte ich. ›Wir würden gern mehr über das fünfzehnte Jahrhundert herausfinden, das späte fünfzehnte Jahrhundert, und Miss Rossi hat bereits einiges an Dingen aus der Zeit über das Heimatland ihrer Familie zusammengetragen, das…‹
›Rumänien‹, warf Helen ein. ›Aber ich bin in Ungarn aufgewachsen und zur Schule gegangen.‹
›Ah ja, Sie sind eine Nachbarin.‹ Professor Stoichev wandte sich Helen mit dem denkbar liebenswürdigsten Ausdruck zu. ›Sind Sie von der Universität Budapest?‹
›Ja‹, sagte Helen.
›Vielleicht kennen Sie meinen Freund dort – Professor Sandor.‹
›Oh ja. Er ist der Dekan der historischen Fakultät.‹
›Das ist schön, sehr schön‹, sagte Professor Stoichev. ›Bitte richten Sie ihm meine wärmsten Grüße aus, wenn Sie die Gelegenheit dazu haben.‹
›Das werde ich.‹
›Und wer noch? Ich glaube nicht, dass ich sonst noch jemanden kenne, der heute dort ist. Aber Ihr Name, Professor, ist sehr interessant. Ich kenne diesen Namen. Es gibt in den Vereinigten Staaten einen…‹ – er wandte sich mir zu und dann wieder Helen; zu meinem Unbehagen sah ich, wie Ranovs Blick sich erneut auf uns konzentrierte – ›einen berühmten Historiker, der Rossi heißt. Ist er vielleicht mit Ihnen verwandt?‹
Zu meiner Überraschung wurde Helen tiefrot. Ich dachte, dass sie es öffentlich vielleicht nicht gern zugab, oder Zweifel hatte, die sie zögern ließen, vielleicht hatte sie aber auch nur Ranovs plötzliches Interesse an unserem Gespräch bemerkt. ›Ja‹, sagte sie knapp. ›Er ist mein Vater, Bartholomew Rossi.‹
Ich dachte, Stoichev könnte sich ganz natürlich darüber wundern, warum die Tochter eines englischen Historikers behauptete, Rumänin und in Ungarn groß geworden zu sein, aber wenn er tatsächlich solche Fragen hatte, behielt er sie für sich. ›Ja, das ist der Name. Er hat sehr gute Bücher geschrieben – und zu so verschiedenen Themen!‹ Er schlug sich an die Stirn. ›Nach einigen seiner frühen Aufsätze dachte ich, er würde zu einem ausgezeichneten Balkanexperten werden, aber später hat er sich ganz von dem Thema abgewandt und sich mit vielem anderem beschäftigt.‹
Ich war erleichtert, dass Stoichev Rossis Arbeiten kannte und viel davon hielt. Das mochte unsere Glaubwürdigkeit erhöhen und es einfacher machen, seine Sympathien zu erwerben. ›Ja, in der Tat‹, sagte ich. ›Und Professor Rossi ist nicht nur Helens Vater, sondern auch mein Doktorvater. Ich arbeite mit ihm an meiner Dissertation.‹
›Welch ein Glück für Sie.‹ Stoichev legte eine Hand über die andere. Auf den Handrücken traten die Adern hervor. ›Und worum geht es in Ihrer Dissertation?‹
›Nun‹, sagte ich, und diesmal war es an mir, rot zu werden.
Ich hoffte nur, Ranov beobachtete diesen Farbwechsel nicht zu aufmerksam. ›Darin geht es um niederländische Kaufleute im siebzehnten Jahrhundert.‹
›Bemerkenswert‹, sagte Stoichev. ›Das ist ein interessantes Thema. Aber was führt Sie dann nach Bulgarien?‹
›Das ist eine lange Geschichte‹, sagte ich. ›Miss Rossi und ich haben ein gemeinsames Interesse entwickelt, mehr über die Beziehungen zwischen Bulgarien und der orthodoxen Gemeinde in Istanbul nach der osmanischen Eroberung der Stadt herauszufinden. Obwohl das ein Stück vom Thema meiner Dissertation entfernt liegt, haben wir doch angefangen, ein paar Aufsätze darüber zu schreiben. Ich habe eben erst einen Vortrag an der Universität Budapest über die Geschichte von… Gebieten Rumäniens unter der Herrschaft der Türken gehalten.‹ Ich erkannte sofort, dass ich einen Fehler gemacht hatte; vielleicht hatte Ranov nicht gewusst, dass wir in Budapest und in Istanbul gewesen waren. Helen blieb jedoch ruhig, und ich folgte ihrem Beispiel. ›Wir würden unsere Forschungsarbeit sehr gern hier in Bulgarien abschließen und dachten, Sie könnten uns dabei womöglich behilflich sein.‹
›Natürlich‹, sagte Stoichev geduldig. ›Vielleicht können Sie mir ganz konkret sagen, was Sie am meisten an unseren
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