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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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Guten, wenn sie dadurch in Gefahr gerät. Im Übrigen folgte das Ganze natürlich noch einer anderen Logik: Wenn sie tatsächlich seine Tochter war, hatte sie mehr als alle anderen das Recht, seine Geschichte zu erfahren. »Was bedeutet Dracula für Sie?«
    »Was er für mich bedeutet?« Sie runzelte die Stirn. »Als Idee? Er steht für meine Rache, nehme ich an. Ewige Bitternis.«
    »Ja, das verstehe ich. Aber bedeutet Dracula noch etwas anderes für Sie?«
    »Wie meinen Sie das?« Ich hätte nicht sagen können, ob sie mir auswich oder ehrlich zurückfragte.
    »Professor Rossi«, sagte ich und zögerte immer noch, »Ihr Vater war… ist davon überzeugt, dass Dracula nach wie vor umgeht.« Sie starrte mich an. »Was halten Sie davon?«, fragte ich. »Klingt das verrückt für Sie?« Ich wartete darauf, dass sie in Lachen ausbrach oder gar aufstand und wegging, wie sie es in der Bibliothek getan hatte.
    »Es ist seltsam«, sagte Helen Rossi. »Normalerweise würde ich sagen, das Ganze sei nichts als ein Volksmärchen, die abergläubische Erinnerung an einen blutrünstigen Tyrannen. Das Komische ist nur, dass meine Mutter ebenfalls fest davon überzeugt ist.«
    »Ihre Mutter?«
    »Ja. Ich habe Ihnen doch erzählt, dass sie vom Land ist. Sie hat, wenn man so will, ein Recht auf diese Art Aberglauben, auch wenn sie am Ende wahrscheinlich weniger davon überzeugt sein mag als noch ihre Eltern. Aber warum ein solch herausragender westlicher Wissenschaftler?« Sie war nun mal Anthropologin, trotz ihres bitteren Kreuzzugs. Dennoch erstaunte mich, wie schnell sich ihre wache Intelligenz von Persönlichem frei zu machen vermochte.
    »Miss Rossi«, sagte ich und ließ mein Zögern endgültig hinter mir. »Für mich steht außer Frage, dass Sie alles gern selbst in Augenschein nehmen. Warum lesen Sie nicht Rossis Briefe? Wobei ich Sie ganz offen davor warnen möchte, dass jeder, der sie gelesen hat, auf die eine oder andere Weise bedroht worden ist, soweit ich das beurteilen kann. Aber wenn Sie dieses Risiko nicht scheuen, dann lesen Sie die Briefe bitte selbst. Es erspart uns die Zeit, die ich dafür aufbringen müsste, Sie davon zu überzeugen, dass diese Geschichte wahr ist – woran ich fest glaube.«
    »Erspart uns die Zeit?«, echote sie angriffslustig. »Was haben Sie mit meiner Zeit zu schaffen?«
    Ich war zu verzweifelt, um mich verletzt zu fühlen. »Sie werden die Briefe mit einem wissenderen Auge lesen als ich. Sie kennen sich in der Materie zweifellos besser aus.«
    Sie hielt das Kinn in die Hand gestützt und schien sich meinen Vorschlag zu überlegen. »Also gut«, sagte sie schließlich. »Was bleibt mir schon übrig? Natürlich kann ich der Versuchung nicht widerstehen, mehr über ›Vater Rossi‹ zu erfahren, besonders wenn es mich ihm gegenüber noch ein Stück weiterbringt. Aber wenn er mir einfach nur wahnsinnig vorkommt, werden Sie nicht viel Mitgefühl von mir erwarten können, da warne ich Sie. Das wäre mal wieder typisch, wenn man ihn irgendwo einlieferte, bevor ich die Chance hatte, es ihm heimzuzahlen.« Ihr Lächeln war kein Lächeln.
    »Schön.« Ich überhörte ihre letzte Bemerkung und ignorierte auch ihre hässliche Grimasse, wobei ich mich zwang, nicht nach ihren Eckzähnen zu sehen, obwohl ich doch wusste, dass sie nicht länger als normal waren. Bevor ich ihr die Briefe gab, musste ich sie in einem Punkt jedoch belügen. »Es tut mir Leid, aber ich habe die Briefe nicht bei mir. Ich hatte Angst, sie mit mir herumzutragen.« Tatsächlich hatte ich sie nicht in der Wohnung lassen wollen, und sie waren in meiner Tasche versteckt. Aber ich sollte verdammt sein – vielleicht buchstäblich –, wenn ich sie mitten in einem Café hervorziehen würde. Ich hatte keine Ahnung, wer uns hier beobachten mochte – die kleinen Freunde des gruseligen Bibliothekars zum Beispiel? Und es gab noch einen Grund, an den auch nur zu denken aber schon so unangenehm war, dass mir das Herz sank. Ich musste sicher sein, dass Helen Rossi nicht unter einer Decke steckte mit… Nun, war es nicht möglich, dass der Feind ihres Feindes bereits ihr Freund geworden war? »Ich muss erst nach Hause und sie holen. Und ich muss Sie bitten, die Briefe in meiner Gegenwart zu lesen. Sie sind alt und sehr wertvoll für mich.«
    »Einverstanden«, sagte sie kühl. »Können wir uns morgen Nachmittag treffen?«
    »Das ist zu spät. Ich möchte, dass Sie die Briefe gleich lesen. Es tut mir Leid. Ich weiß, das klingt alles äußerst

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