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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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abschließbar, wie mir blitzschnell klar wurde, obwohl es ein großes eisenbeschlagenes Schlüsselloch gab.
    In dem kleinen Raum war es dunkler als im Kirchenschiff draußen. In der Mitte stand ein Taufbecken, und entlang der Wände gab es ein oder auch zwei gepolsterte Bänke. Wir sahen uns schweigend an. Ich konnte Helens Ausdruck nicht ganz deuten, aber neben ihrer Angst waren auch Wachsamkeit und Trotz darin zu erkennen. Ohne Worte oder Gesten traten wir vorsichtig an das Taufbecken, und Helen stützte sich mit einer Hand daran ab. Nach einer weiteren Minute hielt ich es nicht mehr aus, gab ihr Tasche und Dokumente und schlich zurück zum Schlüsselloch. Vorsichtig sah ich hinaus und entdeckte den Bibliothekar, wie er hinter einer Säule hervorkam. Er sah tatsächlich aus wie ein Wiesel, sein spitzes Gesicht hielt er vorgereckt und ließ den Blick über die Bänke kreisen. Jetzt drehte er sich in meine Richtung und schreckte etwas zurück. Er schien die Tür zu unserem Versteck zu mustern, trat sogar ein, zwei Schritte darauf zu, ging dann aber weiter. Plötzlich versperrte mir ein lavendelfarbener Pullover die Sicht. Es war eine der alten Frauen. Ich hörte ihre gedämpfte Stimme. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie freundlich.
    »Ich suche jemanden.« Die Stimme des Bibliothekars kam scharf und pfeifend, zu laut für eine Kirche. »Ich…Haben Sie eine junge Dame hereinkommen sehen, in Schwarz? Dunkles Haar?«
    »Aber ja.« Die gute Alte sah sich jetzt ebenfalls um. »Da war vor einer Weile jemand, auf den Ihre Beschreibung passen würde. Sie saß mit einem jungen Mann in einer der hinteren Bänke. Aber sie ist nicht mehr da.«
    Das Wiesel schwenkte hierhin und dorthin. »Könnte sie sich nicht in einem von den Räumen da drüben verstecken?« Er ging nicht gerade geschickt vor.
    »Verstecken?« Die lavendelfarbene Frau wandte sich in unsere Richtung. »Ich bin sicher, in unserer Kirche versteckt sich niemand. Soll ich den Priester für Sie rufen? Brauchen Sie Hilfe?«
    Der Bibliothekar wich zurück. »Oh nein, nein«, sagte er. »Ich muss mich geirrt haben.«
    »Möchten Sie eines von unseren Informationsblättern?«
    »Oh nein.« Er wich zurück, den Gang hinunter. »Nein, danke.« Ich sah, wie er noch weiter den Kopf drehte, dann verschwand er aus meinem Blickfeld. Schließlich war ein Klacken zu hören und kurz darauf das Zuschlagen der Kirchentüre hinter ihm. Ich nickte Helen zu, und sie seufzte in stummer Erleichterung. Wir warteten noch ein paar Minuten und sahen uns über das Taufbecken hinweg an. Helen senkte den Blick als Erste. Sie hatte die Brauen zusammengezogen und fragte sich sicher, wie um alles in der Welt sie in eine solche Situation geraten war und was das alles zu bedeuten hatte. Ihr Haar glänzte ebenholzfarben. Sie trug auch heute keinen Hut.
    »Er sucht nach Ihnen«, sagte ich leise.
    »Vielleicht sucht er auch nach Ihnen.« Sie zeigte auf den Umschlag in meiner Hand.
    »Ich habe die seltsame Idee«, sagte ich langsam, »dass er weiß, wo Rossi ist.«
    Wieder zog sie die Brauen zusammen. »Das alles ergibt sowieso keinen Sinn, also warum nicht?«, murmelte sie.
    »Ich kann Sie nicht zurück in die Bibliothek lassen oder zu sich nach Hause. Er wird überall nach Ihnen suchen.«
    »Mich lassen?«, sagte sie in einem bedrohlich klingenden Ton.
    »Miss Rossi, bitte. Wollen Sie die Nächste sein, die verschwindet?«
    Sie schwieg. »Und wie wollen Sie mich beschützen?«, fragte sie endlich. Leichter Spott lag in ihrer Stimme, und ich musste an ihre Kindheit denken, die Flucht nach Ungarn, als sie im Bauch ihrer Mutter war, und die politischen Tricks, die es ihr ermöglicht hatten, auf die andere Seite der Welt zu reisen, um akademisch Rache zu nehmen. Wenn ihre Geschichte so stimmte.
    »Ich habe eine Idee«, sagte ich langsam. »Ich weiß, das mag jetzt… etwas unwürdig klingen, aber ich würde mich besser fühlen, wenn Sie mir dennoch zustimmten. Wir könnten ein paar… Talismänner hier aus der Kirche mitnehmen.« Sie hob die Brauen. »Wir finden schon etwas, Kerzen, Kruzifixe oder Ähnliches, und auf dem Nachhauseweg kaufen wir noch Knoblauch… Ich meine, auf dem Weg zu mir.« Die Brauen hoben sich noch weiter. »Ich meine, wenn Sie sich entschließen könnten, mit mir zu kommen… und Sie könnten… Vielleicht muss ich morgen verreisen, aber Sie könnten – «
    »Auf dem Sofa schlafen?« Sie hatte die Handschuhe wieder angezogen und verschränkte die Arme auf der Brust. Ich

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