Der Hochzeitsvertrag
führen. In Gedanken zählte sie die Gesichter, die ihnen zugewandt waren. Zweiunddreißig Personen standen vor ihr, Wrecker eingeschlossen. Aber es waren ja auch mehr Dienstboten anwesend als sonst, da Nicholas das Personal aus Bournesea hierher beordert hatte.
Bei näherer Betrachtung glaubte Emily, ziemlich viele von ihnen schon einmal gesehen zu haben. Der Anblick so vieler vertrauter Gesichter ließ sie erlöst lächeln. Nur wenige der Anwesenden erwiderten allerdings ihr Lächeln.
Offensichtlich waren diese Leute nicht erfreut, sie zu sehen. Emily hoffte, dass die Frauen und Männer nur aufgebracht waren, weil sie um diese Zeit aus dem Bett gescheucht worden waren, bezweifelte das aber insgeheim. Würden sie sie wohl jemals akzeptieren?
Nicholas stellte ihr das Personal so schnell vor, dass er genauso gut chinesisch mit Emily hätte reden können, denn sie konnte sich kaum einen der genannten Namen merken.
Was sollte sie nur machen, wenn sie mit einem der Dienstboten zu reden hatte? Denn das würde sie im Laufe der nächsten Tage und Wochen tun müssen. Nein, in den kommenden Jahren, verbesserte sich Emily. Diese Leute waren jetzt ihre Angestellten, ebenso abhängig von ihr wie von ihrem Mann. Ich, Emily, werde dafür sorgen, dass sie anständig eingekleidet werden, ihre Pflichten erfüllen und der Haushalt reibungslos abläuft, dachte sie. Kurz stieg Angst in ihr hoch, als sie die müden Gesichter vor sich sah.
Nicholas drückte ihren Arm und blickte zu ihr hinunter. Was hatte er gefragt?
"Würden Sie bitte jemand nennen, der Ihnen für kurze Zeit zur Hand gehen wird?" wiederholte Nicholas.
Zur Hand gehen? Emily war einen Moment lang verwirrt. Dann fiel ihr ein, dass sie eine Kammerzofe brauchte. Schließlich hatten alle Damen Kammerzofen. Sie versuchte sich daran zu erinnern, wie Lady Kendales Zofe geheißen hatte, doch der Name war ihr entfallen.
Schnell ließ sie den Blick über die Gesichter der Leute gleiten, die sich in der Halle versammelt hatten, aber die Person, nach der sie Ausschau hielt, war nicht zu sehen. Die Frau war alt gewesen, älter als die Countess. Vermutlich war sie entlassen worden oder hatte ihren Abschied genommen. Schließlich hatte der alte Earl keine Verwendung mehr für eine Kammerzofe gehabt, nachdem Lady Kendale gestorben war.
Da sie irgendetwas sagen musste, nannte Emily den einzigen Namen, der ihr gerade einfiel, einen, an den sie schon vorhin gedacht hatte, als sie sich überlegt hatte, wie die Dienstboten sie wohl empfangen würden.
"Rosie? Miss Rosie Hempstead?" fragte Emily mit rauer Stimme und räusperte sich. Noch einmal ließ sie den Blick über die Dienstboten gleiten.
Wo war Rosie? Und war es korrekt gewesen, Rosie als "Miss" anzusprechen? War Rosie etwa gar nicht unter den Anwesenden? Was sollte sie dann tun? Tausend Fragen schossen Emily in diesem Augenblick durch den Kopf.
Auf keinen Fall würde sie Mrs. Waxton um Hilfe beim Anund Auskleiden bitten. Dann schon lieber eine Fremde! Emily war sich sicher, dass man keine Haushälterin zur Kammerzofe machen durfte. Und wer sollte sich in Bournesea um den Haushalt kümmern, wenn die Frau vor Wut kündigte?
"Ja, Miss Lovey… Mylady?" Rosie drängte sich nach vorn.
Das Mädchen, dem die roten Locken wirr über den Rücken hingen, knickste verlegen, bemüht, die bloßen Füße unter ihrem langen, zerknitterten Nachthemd zu verbergen. Ihre großen grünen Augen blickten erstaunt drein. Sie nagte unsicher an ihrer Oberlippe, offensichtlich erschrocken darüber, dass sie für eine so verantwortungsvolle Stellung ausgesucht worden war, und warf einen schüchternen Blick auf ihre Herrin.
"Rosie, du wirst deine Herrin in die Räumlichkeiten der Countess begleiten. Mr. MacFarlin, Sie werden mir aufwarten", befahl Nicholas Wrecker. "Der Rest von euch kann gehen. Wir werden uns am Morgen wieder sehen. Ich danke euch für das Willkommen und wünsche allen eine gute Nacht."
Unter Gemurmel zogen sich die Dienstboten zurück. Der Earl und die Countess of Kendale warteten, bis sich alle zurückgezogen hatten, und Upton, der die Vordertür abschloss, sich von ihnen verabschiedet hatte. Er warf Nicholas, Emily und Wrecker dabei einen misstrauischen Blick zu. Offenbar hätte er sie lieber ausgesperrt, reichte ihnen aber unterwürfig Handleuchten.
Sobald der alte Mann verschwunden war, wandte sich Nicholas an Wrecker. "Ich gratuliere zur Beförderung zum Kammerherrn", sagte er schmunzelnd.
Dann drehte er sich zu Rosie um.
Weitere Kostenlose Bücher