Der Hochzeitsvertrag
hier hausen würde, dachte Emily beklommen. Als sie über ihren Ring strich, spürte sie zum ersten Mal keinen Trost.
"Du hast dich nicht einmal dafür entschuldigt, den alten Mann geweckt zu haben", meinte Emily vorwurfsvoll. "Hättest du unsere späte Ankunft nicht wenigstens mit dem Kutschenunglück erklären können?"
"Was passiert ist, geht Upton nichts an. Entschuldigungen werden von uns nicht erwartet. Sie wären nicht einmal willkommen", stellte er fest und wandte sich ab, nervös hin und her schreitend.
"Es wäre dennoch höflicher gewesen, Nicholas", beharrte sie.
Als er sich zu ihr umdrehte, hatte er die Augenbrauen zusammengezogen und die Lippen fest aufeinander gepresst. Dann erklärte er ihr in halblautem Ton: "Bitte denken Sie daran, mich Kendale zu nennen, Countess, oder auch Mylord. Und widersprechen Sie mir in Anwesenheit des Personals nie wieder – nie. Keine Widerreden, kein Aber, wenn ich etwas entschieden habe!"
Er schloss einen Moment die Augen und meinte dann mit sanfterer, dennoch gebieterischer Stimme: "Du kannst mir, wenn wir unter uns sind, jederzeit Vorhaltungen machen, aber in Gegenwart anderer Personen tue wenigstens so, als wäre ich der Herr im Hause, ja?"
Emily wurde mit einem Mal klar, dass sich Nicholas in seiner neuen Rolle als Earl of Kendale ebenso unwohl fühlte wie sie selbst in ihrer als Countess. Auch wenn er für diese Rolle natürlich weitaus besser vorbereitet war als sie. Konnte es sein, dass er tatsächlich befürchtete, der Stellung nicht gewachsen zu sein?
Es gab bestimmt unzählige Regeln, die das Leben der Adeligen bestimmten, Regeln, die sie vermutlich würde lernen müssen. Wie viele davon hatte Nicholas in den letzten sieben Jahren in Indien und unter Seeleuten wohl vergessen? Neugierig musterte sie ihn.
Vom Titel und dem Selbstvertrauen einmal abgesehen, ähnelte Nicholas seinem Vater kein bisschen. Und er hatte auch nicht die Gelegenheit gehabt, langsam in seine neue Position hineinzuwachsen. Der alte Earl hatte ihn, soweit das ging, ignoriert, bis er ihn nach Indien geschickt hatte. Falls er Nicholas nach Indien geschickt hat, korrigierte sie sich in Gedanken.
Wie immer es auch sein mag, dachte sie, ich werde nichts tun, um Nicholas' Autorität zu untergraben. Einer von ihnen beiden sollte doch von den Dienstboten gefürchtet werden. Sie knickste vor ihm, stolz darauf, dass sie nicht beleidigt reagierte: "Wie Sie wünschen, Mylord."
Er presste kurz seine Finger an die Schläfen. "Dieser furchtbare Tag scheint kein Ende nehmen zu wollen."
"Du hast Kopfschmerzen!" bemerkte sie, wider Willen Mitleid mit ihm empfindend.
"Ja", gestand er ein, "aber eigentlich sollte ich mich nach deinem Wohlbefinden erkundigen."
"Mir geht es den Umständen entsprechend gut."
"Fein. Ich denke, wenn wir erst einmal ein paar Stunden geschlafen haben, sieht alles schon ganz anders aus. Mach dir keine Sorgen."
Sie enthielt sich einer Antwort. Es war widerwärtig, dass er sie so nett anlächelte und tat, als wäre er um ihr Wohlergehen besorgt, obwohl er sich doch in Wirklichkeit ihrer entledigen wollte. Was für ein abgefeimter Lügner er doch ist! Darüber hinaus hatte sie auch keine Lust, den Dienstboten gegenüberzutreten, die der Butler gerade eilig zusammentrieb, damit sie ihre neue Herrin begutachten konnten. Alles, was Emily sich wünschte, war ein heißes Bad und ihre Ruhe.
Nicholas streckte die Hand nach ihr aus und tätschelte ihren Arm. "Vielleicht gibt es anfänglich einige Schwierigkeiten, Emily", warnte er sie. "Aber wenn dir irgendjemand ohne den gebührenden Respekt begegnet, musst du mir das sofort melden. Ich werde mich dann darum kümmern."
"Das solltest du besser nicht", sagte sie, machte einen Schritt zurück und verschränkte die Arme. "Du brauchst dich nicht um mich zu kümmern, das kann ich nämlich sehr gut selbst." Sie hob das Kinn. "Und bitte, Kendale, reden Sie mich korrekt an."
In diesem Moment klopfte jemand – Emily nahm an, dass es Upton war – leise an die Tür. Ob sie dazu bereit war oder nicht, jetzt war der Moment gekommen, dem Personal entgegenzutreten.
Nicholas sah fast so aufgeregt aus, wie Emily sich fühlte. Um Mut ringend und bemüht, ihr unpassendes Äußeres zu vergessen – sie hatte im Gasthaus nur ihr altes Wollkleid überstreifen können –, trat Emily an seiner Seite durch die Tür in die Halle.
Ihr erster Gedanke war, dass sie nicht gewusst hatte, wie viel Personal nötig war, um in London einen Haushalt zu
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