Der Hochzeitsvertrag
der Mietdroschken, die am Straßenrand warteten.
Nicholas nannte dem Kutscher seine Adresse. Als das Gefährt sich in Bewegung setzte, warf er einen Blick auf seine Taschenuhr. Es war erst halb zehn. Dennoch war er müde und erschöpft. Hoffentlich hat Emily sich schon zum Schlafen zurückgezogen, dachte er.
Emily suchte in der Bibliothek nach einem spannenden Roman, bemüht, sich die Wartezeit zu verkürzen, bis ihr Gatte nach Hause kam, und die Ereignisse des Tages zu vergessen. Noch war sie nicht fündig geworden. Auch ein viel versprechendes Bändchen mit grünem Ledereinband, das ihr aufgefallen war, hatte sich als Abhandlung über Kriegsstrategien entpuppt. Enttäuscht schloss Emily die Glastür des Schrankes. Anscheinend war die Bibliothek eine Ansammlung von Büchern, die niemand sonst im Vereinigten Königreich lesen wollte.
Unruhig schlenderte sie eine Weile durch den Raum, studierte Buchrückenaufschriften und die beiden Porträts, die an der Wand hingen, und ließ sich schließlich in einen der Sessel, die vor dem kalten Kamin platziert waren, nieder.
Warum kam Nicholas nicht endlich nach Hause? Sogar das leidenschaftlichste Liebesspiel konnte nicht die ganze Nacht dauern, denn die Frauen, die die Gentlemen aufsuchten, bedienten mehr als einen Mann am Abend. Das hatte sie gelesen. Und Nicholas hatte bestimmt noch keine Zeit gehabt, eine Mätresse zu finden.
Über die Natur männlicher Vergnügungen sollte eine jungfräuliche Dame wie sie eigentlich nicht Bescheid wissen. Keine der Stützen der Gesellschaft, mit der sie bekannt war, hätte jemals über derartige Angelegenheiten mit ihr geredet. Oh nein, die Damen, die ich kenne, warten vermutlich brav, bis ich aus dem Raum bin, bevor sie sich hinter meinem Rücken über meine eigenen Schandtaten unterhalten, dachte Emily bitter.
Durch Liebesromane und Abenteuerbücher hatte sie aber eine vage Vorstellung von dem gewonnen, was zwischen Mann und Frau passierte. In einem Städtchen von der Größe Bourneseas konnte man kaum etwas anderes tun als lesen. Bemerkenswert fand Emily, dass die Schriftsteller in ihren Büchern Dinge beschrieben, die so unwürdig waren, dass sie sicher nie in Gegenwart einer anderen Person über Derartiges reden würden.
Natürlich hatte keiner der Autoren die genauen Details des Geschlechtsakts beschrieben, aber die Lektüre ermutigte in gewisser Weise dazu, die Andeutungen mit etwas Fantasie auszuschmücken. Und in einem Buch ihres Vaters, einem Eheratgeber für junge Männer, waren im wahrsten Sinne des Wortes nackte Tatsachen beschrieben worden.
Wüsste mein Vater davon, dass ich das Handbuch gelesen habe, wäre er sicher entsetzt, gestand sie sich ein. Auch wenn er ihr ihre schändliche Neugier vergeben würde.
Ach, mein lieber, herzensguter Vater. Emily seufzte. Er war ein so netter Mensch. Etwas weltfremd vielleicht, aber großmütig.
Gewiss, sie war in vielerlei Hinsicht verwöhnt, und daran war seine Nachgiebigkeit schuld. Doch er hatte ihr auch vorgelebt, dass man Menschen lieben konnte, ohne Bedingungen zu stellen. Er hatte Verständnis für menschliche Schwächen und vergaß die Fehler anderer sehr schnell. Güte und Vergebung waren auch die zentralen Themen seiner Predigten.
Emily grübelte. War es falsch von ihr, dass sie Nicholas verdammte? Er hatte sie belogen, sie fast ihrer Unschuld beraubt und mit Sicherheit Rosie verführt. Aber er hatte auch so viel Gutes an sich.
Sie zählte seine guten Eigenschaften auf. Nicholas hatte sie geheiratet, um ihren Ruf zu retten. Er hatte dafür gesorgt, dass ihr Bruder vorbildlich gepflegt wurde, als er krank war. Er hatte die Cholera gefürchtet und war dennoch bei seinen Männern geblieben.
Ja, auch Nicholas hatte nicht nur schlechte Seiten, das wusste sie. War es nicht ihre Aufgabe, das Gute an die Oberfläche zu bringen und ihm seine sündhaften Angewohnheiten abzugewöhnen? Dass in dem Moment, in dem sie sich zu diesem Entschluss durchgerungen hatte, die Tür geöffnet wurde, nahm sie als Fügung.
"Emily?" fragte Nicholas müde, machte aber keine Anstalten, die Bibliothek zu betreten. "Guten Abend. Was tust du denn hier? Es ist viel zu kalt in diesem Raum für dich. Warum bist du nicht oben in deinem Zimmer?"
"Guten Abend, Nicholas."
"Geht es dir nicht gut?" erkundigte er sich. "Du siehst blass aus."
Sie schüttelte den Kopf. "Es geht mir wunderbar, danke. Ich habe gewartet, weil ich dir sagen wollte, dass uns dein Cousin Carrick seine Aufwartung gemacht
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