Der Höllenbote (German Edition)
war Dhevic. Ein großer Mann, der viele Orte sein Zuhause nennen konnte, sich aber nirgends sonderlich verwurzelt fühlte. Ort und Lage waren relativ. Aus seiner Sicht glich sein Leben einer Mission, für die Geografie, Gesellschaft und sogar Kultur keine Rolle spielten. Er verfügte über seine Instinkte und sein Blut; viel mehr brauchte er nicht.
Müde und sich der grauen Einsprengsel in seinem Bart und seinen schulterlangen Haaren bewusst, lief er weiter. Er bezweifelte, dass die Frau ihn bemerkt hatte. War sie die Nächste? Das Blut, das durch sein Gehirn floss, verriet ihm nichts. Oder war sie lediglich Futter? Schwer zu sagen heutzutage – Dhevic wurde langsam alt.
Schnell huschte er davon, leichtfüßig trotz seiner Größe. Er hielt sich nicht gerne lang auf Friedhöfen auf – die Toten verdarben seine Visionen. Manchmal flüsterten sie die verbotensten – und abscheulichsten – Sachen.
Ich muss hier weg ...
Dhevic fuhr los und dachte an die attraktive Frau, die Jane Ryan hieß. Vielleicht deute ich zu viel in alles hinein, überlegte er. Es war immer so schwer zu beurteilen. Am besten dachte er gar nicht mehr, denn es war das Denken, das ihn sehen ließ.
In seinem Kopf hatte er die andere gesehen, genau wie das nachfolgende Blutbad, ein Fest fleischlichen Horrors. Marlene. Er sah, was sie sah, fühlte, was sie fühlte. Sie hatte ihrem Mann die Kehle bis auf den Knochen durchgeschnitten, während sie mit ihm vögelte, hatte ihn geritten wie eine keuchende Bestie, immer wieder auf ihn eingestochen, während das Blut aus seinem zerfetzten Hals pulsierte. Dann hatte sie sich in ihrer Geilheit selbst befingert, wild über seiner Leiche masturbiert. Sie hatte sich in seinem Blut gewälzt und jeden Zentimeter ihrer Haut damit bedeckt: ihr Haar rot durchnässt wie ein Mopp, ihr grinsendes Gesicht rot verschmiert, ihre Brüste aufgerichtet und glänzend in grellem, grellem Rot.
Ihren Sohn hatte sie bereits vorher abgeschlachtet, aber für ihren Mann nahm sie sich besonders viel Zeit. Ihre blutroten Hände führten das Messer nicht mit Zorn oder Hass, sondern mit großer Leidenschaft, großer Liebe, und während sie arbeitete, während sie Teile aus ihm herausschnitt und seinen Körper immer weiter aufspaltete, spürte sie, wie sie von hinten von jemandem liebkost wurde, der die gleiche Leidenschaft und Liebe für sie verspürte – oder zumindest kam es ihr so vor. Marlene konnte ihn nicht sehen, aber sie wusste, dass er da war, fast als sei er ein Teil von ihr, fast als lägen seine Hände auf ihren und führten sie bei ihrem Tun. Später würde sie noch einmal von derselben Wesenheit gestreichelt werden, wenn sie ihre Botschaft überbrachte und das Massaker im Hauptpostamt anrichtete.
Als sie endlich aufhörte, war von ihrem Mann nicht mehr viel übrig – ein ausgehöhlter Kadaver, die Innereien über den ganzen Raum verteilt, das Gesicht geschickt abgezogen und an die Klinke der Badezimmertür gehängt. Sie stand auf und warf einen letzten Blick auf ihre Arbeit. Sie wünschte sich, sie könnte ihn wieder ins Leben zurückholen, nur um ihn noch einmal zu ficken und zu töten. Ihn erneut in Stücke zu schneiden, denn sie wusste genau, wie sehr das den Boten erfreute.
Es drehte sich alles um Botschaften. Um Geheimnisse. Es war Carlton gewesen, der ihr jene erste Botschaft übermittelt hatte ...
Carlton, dachte Dhevic. Der Name drang gewaltsam in seine Gedanken, dann verzerrte sich seine Sicht, und zurück blieb dieses vertraute Geräusch in seinem Kopf – wie ein kaum vernehmbares Jaulen –, das nicht nachlassen wollte. Und der schwache, aber hartnäckige Schmerz im Mark seiner Zähne.
Wer war Carlton? Halt! Das war der Mann, den er eben auf dem Friedhof gesehen hatte, zusammen mit Jane Ryan und ihren Kindern. Das war die Ahnung, auf die Dhevic gewartet hatte, und sofort lenkte er den Wagen an den Seitenstreifen, hielt an und schloss seine Augen, um sich durch die Schmerzen hindurchzukämpfen.
Der Mann auf dem Friedhof.
Carlton.
Er auch! Und dann erblickte er alles hinter seinen Augenlidern. Einen Keller voll Gerümpel. Der Mann kroch gerade aus einem niedrigen Stauraum heraus. Schwitzend, staubbedeckt, Knie und Ellbogen abgewetzt und schmutzig. »Was machst du denn hier, Marlene?« – »Ich bin gekommen, um meine Sortierboxen zu holen. Was ist ... das?« Und dann keine weiteren Worte, nur noch wilder Sex auf dem Kellerboden, beide kurz davor, im schwitzenden, keuchenden Moment des Höhepunkts
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