Der Höllenbote (German Edition)
Kettengürtel und der blau-grau geblümten ärmellosen Bluse sah sie wie eine perfekte junge Dame aus. Ein kaffeebrauner Pferdeschwanz hing bis zu ihrer Hüfte hinab, zusammengehalten von einem hübschen Haarband. Jennifer war alt genug, um zu wissen, dass man sich an einem Ort wie diesem still und artig verhielt.
Sie befanden sich auf dem Winter-Damon-Friedhof, direkt vor der Stadtgrenze von Danelleton.
Jennifer hatte schon einmal an einer Beerdigung teilgenommen, damals, als ihr Vater begraben wurde.
Finken zirpten gleichgültig in den hohen, Schatten spendenden Bäumen, die diesen Teil des Friedhofs umgaben. Eine hoch am Himmel stehende Sonne schien durch die Blätter, verziert mit schneeweißen Wolkentupfen. Zwischen den Bäumen schlüpfte eine erfrischende Brise hindurch und nahm der Luft etwas von der Hitze.
Ein Priester stand stoisch vor den drei Särgen und deklamierte mit volltönender Stimme:
»Gedenke deiner Diener, O Herr, Marlene und Michael und Jeff, nach der Gnade, die du deinem Volk verheißen hast ...«
Jennifer nahm Kevins Hand und drückte sie tröstend.
»... und wer da lebet und glaubet an Ihn, der wird nimmermehr sterben, sondern das ewige Leben gewinnen ...«
Der Priester klappte sein reich verziertes Gebetbuch zu und streckte die Arme aus, ohne aus dem Takt zu kommen.
»... durch Jesus Christus, dem Ehre sei von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.«
»Amen«, murmelte die Menge, die sich um das Dreifachgrab versammelt hatte.
Jane legte den Arm um die beiden feierlich gekleideten Kinder und drückte sie an sich. Jane war ihre Mutter.
Ja, sie wusste, dass Jennifer alt genug war, um den Hintergrund des Begräbnisses zu verstehen, und sie hoffte, dass es Kevin auch so ging. Er war noch zu jung gewesen, um am Begräbnis ihres Mannes teilzunehmen, aber jetzt, nach vielen vorsichtigen Erklärungen, besaß der Junge eine ungefähre Vorstellung vom Tod. Jennifer ging routinierter damit um, hatte wahrscheinlich auch schon mehr begriffen. Sie konnte sich noch an das Begräbnis ihres Vaters erinnern und hatte von sich aus darum gebeten, auch diesmal mitgehen zu dürfen. Der Tod gehörte nun einmal zum Leben – alle Kinder mussten das früher oder später lernen. Aber was Jane Sorgen bereitete, waren die Umstände der Tode. Ihre Kinder hatten Marlenes Sohn gekannt. Jetzt lebte der Sohn nicht mehr und es war seine eigene Mutter gewesen, die ihn getötet hatte.
Wie konnten Kinder so etwas jemals vollständig begreifen?
»Es ist vorbei, ihr zwei«, sagte Jane leise. »Wir können nach Hause fahren.«
Jane führte ihren Sohn und ihre Tochter den gewundenen Pfad entlang zum Parkplatz. Unterwegs grüßte sie einige bekannte Gesichter. Jennifer und Kevin schwiegen, sie waren noch zu verwirrt von diesem Tag und den überflüssigen Kommentaren der anderen, als die Trauergesellschaft sich auflöste: »Das Leben geht weiter« oder »Sie sind jetzt an einem besseren Ort«. Die alte Mrs. Baxter mit ihren blaugrau gefärbten Haaren, eine der Sittenwächterinnen der Stadt, humpelte zufrieden mit ihrem Stock vorbei und verkündete: »Es ist alles Gottes Wille, keine Frage. Die Wege des Herrn sind unergründlich.« Jane lächelte höflich, erschüttert von der fassungslosen Miene ihres Sohnes. Was sollte sie ihren Kindern an einem solchen Tag nur sagen – vor allem über Gott und den Glauben?
Ich will hier weg, dachte sie. In der Ferne erklang eine Glocke und das einsame Geläut versetzte ihr einen Stich. Sie musste an die bizarre Skizze denken, die Chief Higgins ihr gezeigt hatte.
Die Skizze einer Glocke .
Was hatte es damit auf sich? Die Polizei hatte sie in Marlenes Haus gefunden. Noch bizarrer war Higgins’ Tonfall gewesen, als er davon sprach. So doppeldeutig. Es schien, als wollte der Polizeichef nicht alles verraten, was er über diese Skizze wusste.
Der Gottesdienst war zu Ende. Jetzt dauerte es nicht mehr lange, bis die drei Särge ins Grab hinabgelassen und zugeschaufelt wurden und Marlene und ihre Familie für immer unter der Erde verschwanden. Einmal mehr war der Tod zu einem Teil des Lebens geworden.
»Schau mal, Mom«, durchbrach Jennifer schließlich das Schweigen.
»Was denn, Liebes?«
»Da ist Carlton.«
Jane entdeckte ihren neuen Stellvertreter zwischen einigen geparkten Autos auf dem Weg. Er stand allein da, in einem schlichten schwarzen Anzug, und starrte ins Leere.
»Carlton ist cool«, sagte Kevin. »Er kennt alle Cheatcodes für Tech Warrior. «
Das war der Name eines
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