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Der Höllenbote (German Edition)

Der Höllenbote (German Edition)

Titel: Der Höllenbote (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lee
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gekocht, Teriyaki-Fleischbällchen mit Tiefkühlspargel, die er normalerweise mit Begeisterung verschlang. Aber nicht an diesem Abend. Jennifer dagegen stocherte immer in ihrem Essen herum, denn sie war auf einem Schlankheitstrip: eine Modewelle, die gerade in der Schule die Runde machte. Heute rührte sie kaum einen Bissen an. Carlton war schon gegangen, nachdem er ein bisschen mit Kevin gespielt und Jennifer geholfen hatte, die Kröte zu füttern. Mel, eine potthässliche Krötenechse, war eigentlich Kevins Haustier, aber er ließ sie von Jennifer füttern. Kevin wollte offenbar nicht zugeben, dass er zu zartbesaitet für die Fütterung war, die immer die Opferung eines lebenden Heimchens oder Mehlwurms erforderte.
    »Wer hat denn das Spiel gewonnen?«, fragte Jane, um das Schweigen zu brechen.
    »Eigentlich keiner«, antwortete Kevin. »Carlton war nicht richtig bei der Sache und ich wohl auch nicht.«
    »Was hatte Carlton denn heute?«, wollte Jennifer wissen und spießte ein Stück Spargel mit der Gabel auf.
    »Ja, Mom. Er war wirklich komisch.«
    »Und manchmal hat er einfach nur ... in die Luft gestarrt«, fügte Jennifer hinzu. »Manchmal habe ich ihn angesehen und da hatte er diesen komischen Blick in den Augen. Ist dir das nicht aufgefallen?«
    Jane versuchte sich aus ihrer Benommenheit zu reißen. »Es hat ihn nur sehr mitgenommen, Liebes. Wenn solche schlimmen Sachen passieren, reagieren die Menschen unterschiedlich. Carlton hat lange mit Marlene zusammengearbeitet, genau wie ich. Und da ist noch etwas. Die Beerdigung hat Carlton wahrscheinlich an etwas sehr Schlimmes erinnert, das ihm vor langer Zeit zugestoßen ist.«
    »Was denn, Mom?«
    Oh je, warum habe ich nur davon angefangen! Sie überlegte, wie sie sich aus dieser Schlinge winden konnte, aber sie wusste, dass es keine Möglichkeit gab. »Na ja ... Carlton hatte auch einmal eine Familie, eine Frau und eine Tochter. Ich glaube, die Tochter war ungefähr so alt wie Marlenes Sohn. Jedenfalls starben die beiden eines Nachts bei einem Verkehrsunfall.« Die Notlüge kam ihr glatt über die Lippen. Ihre Kinder mussten ja nicht wissen, dass Carltons Tochter nie gefunden und wahrscheinlich entführt worden war.
    »Hm«, sagte Kevin und dachte über Janes Worte nach, versuchte, sie zu begreifen. »Aber das hier ist anders. Marlene ist nicht bei einem Autounfall gestorben. Sie ist von der Polizei erschossen worden.«
    Oh je, ging es Jane noch einmal durch den Kopf.
    Es entstand eine Pause, dann fragte Jennifer: »Warum hat Marlene es getan?«
    »Ja, Mom. Warum hat Marlene diese ganzen Leute getötet, und Mr. Troy und Jeff?«
    Über diese unbeantwortbaren Fragen konnte Jane nur seufzen. »Das ist schwer zu erklären. Manchmal geschieht mit den Leuten etwas, das sie dazu bringt, was Schlimmes zu tun. Es geschieht in ihren Köpfen. Man nennt es Geisteskrankheit. Das Gehirn dieser Menschen funktioniert dann nicht mehr richtig, und wenn das passiert, dann machen sie unter Umständen ...«
    »Du meinst, sie werden verrückt?«, unterbrach Kevin sie.
    »So wie der Mann, der Dad getötet hat?«, fügte Jennifer hinzu.
    Jane zögerte. Jetzt hatten die beiden Tragödien einen gemeinsamen Nenner gefunden und dieser gemeinsame Nenner waren ihre Kinder. Erneut wusste sie nicht, was sie sagen sollte. Sie fühlte sich hilflos.
    Oh, Matt, dachte sie.
    Fünf Jahre war es jetzt her. Sie wusste noch genau, dass es in jener Nacht geregnet hatte; sie hatte den Regen hören können, wie er aufs Dach prasselte. Und Kopfschmerzen hatte sie gehabt, denn es war gerade erst eine Woche her gewesen, seit sie dem Kaffee abgeschworen hatte. Sie erinnerte sich an das Hämmern des Türklopfers, nervtötend laut, das ihre Kopfschmerzen noch verschlimmerte.
    Es war spät gewesen. Die Kinder schliefen und sie lag auf dem Sofa. Doch trotz der Kopfschmerzen fühlte sie sich großartig. Sie war glücklich. Sie war verliebt. Sie hatte einen guten Job, ein schönes Haus und wohnte in einer freundlichen Gegend. Sie hatte einen wundervollen Mann und wundervolle Kinder. Sie hatte alles, wovon sie immer geträumt hatte, alles, was eine Frau sich nur wünschen konnte. Sie erinnerte sich sogar daran, wie sie darüber nachgedacht hatte: Wieso habe ich nur so ein Glück? Womit habe ich mir das verdient? Vielen, vielen Dank.
    Ihr Mann Matt war zum rund um die Uhr geöffneten Qwik-Mart gefahren, um koffeinfreien Instantkaffee für sie zu kaufen. Bevor er gegangen war, hatten sie langsam und genüsslich

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