Der Höllenbote (German Edition)
den anderen zu erwürgen, und genauso schnell endete es wieder. Der Bote hatte sie beide berührt.
In seinem Geist konnte Dhevic sehen, was in ihren Köpfen vorging, als sich ihre Körper ineinander verschlangen: die widerwärtigsten Bilder, Bilder von einem fremden Ort, einem Gebeinhaus so groß wie tausend Städte. Ein Geräusch wie von brechenden Wellen, aber dann erkannte Dhevic, dass dieser Laut sich aus Schreien zusammensetzte, aus Hunderttausenden, nein, Millionen von Schreien, die aus allen Richtungen auf ihn einstürmten. Der Lärm schien nicht enden zu wollen.
Chaos. Ein lebender Albtraum, der niemals endete. Dhevic sah grellweiße Bilder, die wie Blitze vor sein geistiges Auge katapultiert wurden. Etwas flog über den Himmel: Wesen, die keine Vögel waren. Das Firmament hatte die Farbe von arteriellem Blut – es schien sogar zu pumpen wie Blut, hinter rußfarbenen Wolken und einem schwarzen Sichelmond. Gestalten in schwarzer Rüstung marschierten in Schlachtreihen durch dampfende Straßen und metzelten jede arme Seele nieder, die es wagte, sich im Freien aufzuhalten. Zweihänder und Hellebarden durchschnitten in anmutigen Bögen singend die Luft und hackten Köpfe ab. Arme durchtrennten Körper an der Hüfte und spalteten andere vom Kopf bis zum Schritt. Auf den Simsen und Vorsprüngen der 100-stöckigen Wohnblocks der Gettos lauerten Greife und Gargoyle darauf, dass Bastardkinder aus den Fenstern geworfen wurden: zarte Mahlzeiten für die Wartenden. Und in der Tat wurden ständig Kinder aus diesen Fenstern geworfen, von bettelarmen Müttern, die entweder verdammte Menschenseelen waren oder Dämonen oder eine Kreuzung aus beiden.
Die äußeren Sektoren fanden sich auf keiner Karte, doch sie existierten im Abstrakten, in mehreren Dimensionen, abseits des Zentrums der Hölle. Ausgedörrte Felder verdorbenen Erdreichs und teuflischer Vegetation erstreckten sich über ...
Nun, niemand wusste es. Kilometerlange Sträflingskolonnen galten als vertrauter Anblick in diesen Regionen, ausgemergelte Gestalten, aneinander gefesselt mit geschweißten Ketten, zur Arbeit gezwungen bis nichts mehr von ihnen übrig war als Knochen. Etwas näher gab es Flüsse, gewaltiger als der Amazonas, sowie Buchten und Seen, größer als jeder Ozean der Erde – nur waren diese hier gefüllt mit Abfall, Dreck, Leichen und Blut statt mit Wasser. Die unaussprechlichsten Kreaturen lebten in ihren Tiefen.
Ein anderes Bild blitzte auf, es schnappte mit einem Geräusch in Dhevics Blickfeld wie ein kräftiger Zweig, der durchgebrochen wurde: wieder Marlene. Sie hatte jetzt die lebende Welt hinter sich gelassen und betrat ihr neues ewiges Heim durch ein Feld von Flammen. Nackt, mit wehendem Haar und leuchtenden Augen, so schön wie immer. Eine Gestalt wartete auf sie und brach bei ihrem Anblick in Jubel aus. Mit ausgebreiteten Armen rannte Marlene auf den anderen zu, ihr nun unsterbliches Herz pochend vor Liebe.
Der Bote.
»Ich danke dir, dass du meine Botschaften überbracht hast, Marlene«, sagte die Wesenheit mit kosmischer Stimme. »Und jetzt wirst du deine versprochene Belohnung erhalten.«
Liebe und vollkommene Hingabe verschwanden aus Marlenes Miene. Ihr Gesicht verwandelte sich in eine Fratze absoluten Entsetzens. Der Bote schaute zu, wie ein gehörnter, schneckenhäutiger Dämon von hinten an Marlene herantrat und ihr mit einer Art Hackmesser den Kopf abschlug. Der Kopf wurde auf einen spitzen Stock gerammt und neben zahllosen weiteren Köpfen aufgestellt. Die Köpfe waren noch am Leben – manche redeten, manche sabberten, einige knirschten mit den Zähnen oder zermalmten ihre Wangen, und alle hatten sie die Augen geöffnet, alle glotzten sie.
Marlenes Kopf blickte von seiner Stange herab und sah zu, wie sich Dämonen niederen Ranges mit ihrem enthaupteten Körper verlustierten.
Der Bote seufzte voller Verzückung ...
Dhevic verlor hinter dem Lenkrad seines Wagens das Bewusstsein. Er sollte erst in einigen Stunden wieder zu sich kommen.
(III)
Das Essen war eine schweigsame und mürrische Angelegenheit, aber das hatte Jane nicht anders erwartet. Was soll man schon für Tischgespräche mit seinen Kindern führen, wenn man gerade von einer Beerdigung zurückkommt? Wenn eine der begrabenen Personen eine gute Bekannte gewesen ist und darüber hinaus noch ihre Familie und fast 30 weitere Menschen ermordet hat?
Worüber sollte man da reden?
Alle stocherten in ihrem Essen herum, sogar Kevin. Jane hatte sein Lieblingsessen
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