Der Hof (German Edition)
Date, um Callum einen Gefallen zu tun.
«Komm schon, wieso denn nicht? Ich versuche seit Ewigkeiten, mit Ilse was trinken zu gehen, aber sie will unbedingt eine Freundin mitbringen. Du wirst sie mögen. Nikki ist toll.»
«Du bist ihr also schon begegnet?» Wir stehen an der Bar von Callums Stammkneipe, einem überfüllten Pub mit großen Flachbildschirmen, auf denen verschiedene Sportsender laufen. Das ist seine Vorstellung von «in Ruhe was trinken gehen».
«Nein, eigentlich nicht. Aber Ilse sagt, sie ist toll», gibt er zu. «Und sie ist Australierin. Los, Sean. Das ist wie beim Pferdesport. Wenn du nach dem Sturz nicht schnell genug wieder in den Sattel steigst, vergisst du, wie’s geht. Und wenn du es schließlich doch irgendwann noch mal wagst, fällst du runter. Und das wollen wir doch nicht, oder?»
«Worüber redest du da, zum Teufel?», frage ich und muss lachen.
«Ich rede darüber, dass du wieder unter Leute gehen und Spaß haben sollst. Was hast du zu verlieren? Gott bewahre, vielleicht hast du ja sogar einen schönen Abend!»
«Ich weiß nicht …»
Er grinst. «Dann ist es ausgemacht. Ich spreche mit ihr.»
Wir treffen uns in einer Bar nahe Leicester Square. Der Plan sieht so aus: Erst trinken wir was, dann schauen wir uns den neuen Tarantino an. Das ist Callums Art, Kompromisse zu schließen. Leider haben mich Tarantinos letzte Filme nicht umgehauen, und ich bin auch nicht sicher, ob Blut und Gewalt das Richtige für ein erstes Date sind. Während wir in der Bar warten, bin ich nervös und bereue schon jetzt, dass Callum mich breitschlagen konnte. Als die zwei Mädchen eintreffen, bin ich erst recht überzeugt, einen Fehler gemacht zu haben. Nikki arbeitet als Texterin in einer Werbeagentur, und schon bald wird offensichtlich, dass sie ebenso wenig hier sein möchte wie ich. Merkwürdigerweise macht das die Angelegenheit einfacher, und sobald wir uns darauf geeinigt haben, dass keiner vom anderen irgendwas erwartet, können wir uns entspannen.
Aus einem Drink werden zwei und schließlich drei, weshalb wir uns beeilen müssen, um rechtzeitig in die Vorstellung zu kommen. Callum hat bereits die Eintrittskarten gekauft, und als wir durch das Foyer gehen, ziehe ich mein Telefon aus der Tasche, um es auszuschalten. Kaum habe ich es in der Hand, klingelt es.
Die Nummer von Chloe wird angezeigt.
Ich starre auf das Display. Ich habe seit jenem Abend, als Jules sie ins Zed mitbrachte, nichts von ihr gesehen oder gehört. Ich habe keine Ahnung, warum sie ausgerechnet jetzt anruft.
«Wir müssen rein, Sean», sagt Callum und blickt mich fragend an.
Mein Daumen schwebt über den Tasten
antworten
und
abweisen
. Ehe ich eine von beiden drücken kann, hört das Klingeln auf. Einen Moment lang leuchtet Chloes Name noch, dann verschwindet er.
Ich spüre einen schuldbewussten Stich, als ich das Telefon ausschalte und wieder einstecke. Aber die anderen warten auf mich, und Chloe hat ihre Entscheidung getroffen. Wenn es was Wichtiges ist, wird sie mir schon eine Nachricht hinterlassen oder noch mal anrufen.
Sie tut nichts von beidem.
KAPITEL 17
Meine Fäden werden am späten Vormittag gezogen. Die verschorften Wunden von den Zähnen der Falle haben sich verhärtet und sind verheilt, seit ich den Verband nicht mehr trage, und die Fäden haben inzwischen keine andere Funktion mehr, als mich zu stören. Sie hätten vermutlich schon eher rausgekonnt, doch Mathilde hat davon nicht angefangen, und ich habe sie nicht gedrängt. Aus irgendeinem Grund widerstrebt es mir, die unansehnlichen schwarzen Schnurrhaare ziehen zu lassen.
Aber als ich an jenem Tag aufwache, jucken sie mehr als sonst. Ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich heftig daran kratze und sogar an einem losen Fädchen zupfe. Sie müssen raus. Das kann ich wohl nicht länger vor mir herschieben.
Ich bitte Mathilde darum, als ich mein Frühstück im Haus hole. Sie schiebt eine Strähne hinters Ohr und nickt.
«Ich kann das nachher gerne machen, wenn du willst.»
Ich bedanke mich und kehre in die Scheune zurück. Doch nach dem Frühstück verschiebe ich unsere Verabredung zum Fädenziehen, mische eine Wanne mit Mörtel und steige aufs Gerüst. Inzwischen zähle ich die Tage nicht mehr, aber ich bin ziemlich sicher, dass heute Sonntag ist. Nicht einmal Arnaud erwartet von mir, sieben Tage die Woche zu arbeiten, aber ich habe es mir trotzdem angewöhnt. Es hindert die Zeit daran, zu schwer auf mir zu lasten. Was sie in letzter Zeit immer
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