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Der Hof (German Edition)

Der Hof (German Edition)

Titel: Der Hof (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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mein Handgelenk, an dem ich sonst die Armbanduhr trage, und beobachte eine dunkle Wolke, die sich am Horizont auftürmt. Es ist das erste Mal, seit ich hier bin, dass der Himmel etwas anderes zeigt als strahlendes Blau.
    Bisher hatte ich mir nicht vorstellen können, wie es im Winter hier sein würde. Jetzt schon.
    Die Wolkenbank ist näher gekrochen, als ich mich wieder auf den Rückweg mache, und die Sonne wird von einem Dunstschleier verdeckt. In der Luft liegt sogar der Geruch von Regen. Ich gehe durch den Wald zurück, an den Statuen vorbei, die seltsam unverändert sind. Pan tollt immer noch völlig unbeeindruckt herum, und die verschleierte Frau steht starr und reumütig da. Unter dem sich verdunkelnden Himmel leuchtet der blutähnliche Fleck auf ihrem verwitterten Sandstein stärker als sonst.
    «Hallo.»
    Ich zucke zusammen. Gretchen steht auf der kleinen Lichtung, auf der Arnaud und ich die Silberbirke gefällt haben. Dieses Mal ist weder Michel noch Lulu bei ihr. Sie ist allein und flicht eine Gänseblümchenkette. Auf ihrem Gesicht liegt ein selbstzufriedener Ausdruck, der bei mir das unangenehme Gefühl weckt, in einen Hinterhalt gelockt worden zu sein.
    «Ich habe dich gar nicht gesehen», sage ich. «Was machst du hier unten?»
    «Ich habe auf Sie gewartet.» Sie steht auf und verbindet die Blumenkette zu einem Kreis. «Sie haben mir für heute Nachmittag eine Englischlektion versprochen. Haben Sie das schon vergessen?»
    Ich erinnere mich, wie sie in der Küche etwas erwähnt hat. Aber ich bin mir ziemlich sicher, ihr nichts versprochen zu haben. «Tut mir leid, das müssen wir auf ein anderes Mal verschieben. Ich muss wieder an die Arbeit.»
    «Sie müssen ja nicht sofort weitermachen, oder?»
    Sie kommt auf mich zu. Noch immer hat sie dieses beunruhigende Lächeln im Gesicht. Einen Moment lang glaube ich, sie wird mir die Gänseblümchenkette um den Hals legen, und mache automatisch einen Schritt nach hinten. Sie geht stattdessen an mir vorbei, allerdings so dicht, dass ihr dünnes Kleid mich streift, und drapiert die Kette um den Hals einer Steinnymphe. «So», sagt sie. «Was denken Sie?»
    «Sehr hübsch. Ich muss jetzt zurück.»
    Aber das ist leichter gesagt als getan. Gretchen steht direkt vor mir, und als ich an ihr vorbeiwill, macht sie einen Schritt beiseite und verstellt mir den Weg. Sie grinst. «Wohin gehen Sie?»
    «Das sagte ich schon. Zurück an die Arbeit.»
    «Äh, nein.» Sie schüttelt den Kopf. «Sie schulden mir eine Englischlektion.»
    «Vielleicht morgen.»
    «Und wenn ich nicht warten will?»
    Ihr Grinsen ist bösartig und irgendwie bedrohlich. Oder vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Ich muss dem Drang widerstehen, erneut vor ihr zurückzuweichen. «Dein Vater wird sich schon fragen, wo ich bin», sage ich. Aber dieses Mal bringt es nichts, ihr mit Arnaud zu drohen.
    «Papa schläft. Er wird nicht mitbekommen, wenn Sie später zurückkommen.»
    «Mathilde schon.»
    Ihre Schwester zu erwähnen, ist ein Fehler. «Warum sind Sie nur immer so besorgt, was Mathilde denkt?»
    «Bin ich gar nicht», sage ich hastig. «Schau, ich muss jetzt zurück.»
    Sie funkelt mich einen Moment lang missmutig an und zieht dann einen Schmollmund. «Na gut, aber nur unter einer Bedingung. Holen Sie mir die Kette.»
    Sie zeigt auf die Blumenkette, die um den Hals der Statue baumelt. «Warum?»
    «Das werden Sie schon sehen.»
    Mit einem Seufzen wende ich mich der Nymphe zu und strecke die Hand nach den Blumen aus. Hinter mir raschelt es, und als ich mich umdrehe, sehe ich Gretchens Kleid zu Boden gleiten.
    Darunter ist sie nackt.
    «Nun?», fragt sie und lächelt. Die Luft im Wald ist stickig. Sie kommt auf mich zu. «Mathilde sieht wohl nicht so aus, oder?»
    «Gretchen …», setze ich an. Und dann höre ich den Motor.
    Ich schaue an ihr vorbei, als Georges’ alte Ente schnaufend auf dem Feldweg in Sicht kommt. Für einen Moment bin ich zu starr, um mich zu bewegen, aber dafür ist es ohnehin zu spät. Ich sehe den alten Mann, der wie ein zerfurchter Schuljunge hinter dem Lenkrad sitzt, und wir entgehen seinem Blick genauso wenig. Aber wenn es ihn überrascht, Gretchen nackt mitten auf dem Feldweg stehen zu sehen, zeigt er das durch nichts. Der Citroën holpert näher, und sein Gesicht ist genauso ausdruckslos wie beim Abschlachten der Sau. Dann biegt er an der Gabelung auf den anderen Feldweg, der zu den Pferchen mit den Sanglochons führt, und verschwindet zwischen den Bäumen.
    Das

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