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Der Hof (German Edition)

Der Hof (German Edition)

Titel: Der Hof (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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häufiger tut.
    Ich bin unruhig und verstimmt, als ich anfange, den Mörtel in die Lücken zu klatschen. Es ist nicht nur der Gedanke daran, die Fäden gezogen zu bekommen. Ich habe zuletzt besser geschlafen als irgendwann in den letzten Jahren. Die körperliche Anstrengung, gutes Essen und die Sonne haben meine Schlaflosigkeit effektiv bekämpft. Zumindest bis vor kurzem. Seit Gretchens nächtlichem Besuch habe ich mir angewöhnt, die Kommode über die Falltür zu schieben, aber ich kann wohl kaum Gretchen für meinen unruhigen Schlaf verantwortlich machen.
    Die Träume, in denen ich mir die blutigen Hände in dem Bach im Wäldchen wasche, haben wieder angefangen.
    Ich schiebe den nächsten Stein zurück an seinen Platz, kratze den überschüssigen Mörtel ab und glätte ihn, bis der Stein sich in nichts von seinen Nachbarn unterscheidet. Der obere Teil des Hauses ist fast fertig. Nur noch ein paar Tage, bis ich die Bretter auf dem Gerüst eine Ebene tiefer verlegen und wieder von vorne anfangen muss. An dem großen Bauernhaus bleibt noch viel zu tun – jede Menge Steine müssen herausgeschlagen und wieder eingesetzt werden. Genug Arbeit, um mich auf Monate zu beschäftigen.
    Wenn ich das will.
    Ich wische mir einen Schweißtropfen von der Stirn und schaue auf die Uhr. Aber sie ist natürlich in meinem Rucksack, wo ich sie gelassen habe, seit ich mit der Arbeit am Haus angefangen habe. Ich habe sie bisher nicht vermisst, aber jetzt beschleicht mich das unangenehme Gefühl, für irgendwas zu spät zu sein.
    Mir ist ohnehin der Mörtel ausgegangen, und der Zeitpunkt ist so gut wie jeder andere geeignet, um eine Pause zu machen. Ich trage den leeren Eimer die Leiter runter, lasse ihn am Fuß des Gerüsts stehen und gehe zur Küchentür. Sie steht offen, aber als ich anklopfe, taucht Gretchen auf.
    «Ist Mathilde in der Nähe?», frage ich.
    Ihr Lächeln verschwindet. «Warum?»
    «Sie hat gesagt, sie zieht mir die Fäden. Aber wenn sie nicht hier ist, macht es auch nichts.»
    Irgendwie bin ich erleichtert über diesen Aufschub, doch Gretchen tritt beiseite, damit ich reinkommen kann. Das dünne Baumwollkleid umschmeichelt ihre gebräunten Beine. «Sie ist oben bei Michel.»
    Ich zögere, ehe ich die Küche betrete. Der geflieste Boden, der abgenutzte Tisch und die Stühle sind mir inzwischen vertraut. Doch ohne Mathilde wirkt der Raum irgendwie nicht richtig. Ein geschlachtetes Huhn liegt neben dem Spülbecken, bereits nackt und gerupft.
    «Ich komme später wieder», sage ich und wende mich zum Gehen.
    «Nein, Sie können hier warten.»
    Es klingt eher wie eine Anweisung und nicht wie ein Vorschlag. Ich schaue durch die offene Tür auf den sonnigen Innenhof. Gretchen tritt an die Spüle und packt das Hühnchen an den gelben Füßen. Der Kopf kippt leblos beiseite, als sie es auf ein Schneidebrett wirft. Eines der Augen wirkt milchig und blind, bemerke ich und versuche, nicht das Gesicht zu verziehen, als sie ein großes Hackbeil aus der Schublade zieht und damit den langen Hals durchtrennt.
    «Warum setzen Sie sich nicht?»
    «Ich kann auch stehen, schon okay.»
    Sie schiebt den abgetrennten Kopf in die Spüle und dreht das Hühnchen um. Rasch schneidet sie beide Füße ab. «Mir kommt es so vor, als würde ich Sie kaum mehr zu Gesicht bekommen.»
    «Ich habe mit euch allen gestern zu Abend gegessen.» Inzwischen ist es zur Gewohnheit geworden, dass wir jeden Abend gemeinsam essen. Es steht mir frei, die anderen Mahlzeiten allein einzunehmen, aber inzwischen vermisse ich es, abends allein vor der Scheune zu sitzen und zu essen. Arnaud dabei zuzusehen, wie er sich den säuerlichen Wein hinter die Binde kippt, wie sein Unmut wächst, je mehr Gläser er leert – das alles ist schon bald anstrengend für mich.
    Gretchen blickt mich über die Schulter an. «Das meine ich nicht. Sie gehen mir doch nicht aus dem Weg, oder?»
    «Nein, natürlich nicht.»
    «Gut. Ich habe schon überlegt, ob ich irgendwas getan habe, um Sie gegen mich aufzubringen.»
    Darauf habe ich keine Antwort. Die winzigen Wunden, die ich den Gabelzinken verdanke, jucken. Gerade noch kann ich mich davon abhalten zu kratzen. Die niedrige Decke der Küche und die schweren Möbel drohen mich zu erdrücken.
    «Wir könnten heute auch zusammen zu Mittag essen», schlägt Gretchen vor und zieht etwas Rotes aus dem Schlund des Huhns. «Sie könnten mir wieder Englischunterricht geben.»
    Ich schaue zu der Tür, hinter der die Treppe ist. Von Mathilde keine

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