Der Hof (German Edition)
Motorengeräusch verklingt. Gretchen starrt hinterher, ehe sie sich mit weit aufgerissenen Augen an mich wendet. «Glauben Sie, er hat mich gesehen?»
«Wenn er nicht blind ist, schon. Zieh dich an.»
Kleinlaut gehorcht sie. Ich warte nicht auf sie, sondern lasse sie im Wald zurück und gehe eilig zum Hof. Den Gehstock ramme ich in die staubige Fahrrinne des Feldwegs. Erst jetzt erkenne ich das ganze Ausmaß dessen, was gerade passiert ist. Himmel, wer weiß, was Arnaud mit mir machen wird, wenn er das herausfindet. Er wird mir bestimmt nicht glauben, dass ich Gretchen nicht ermutigt habe oder dass nichts passiert ist. Doch während ich durch den Weingarten marschiere, fürchte ich nicht so sehr seine Reaktion.
Sondern die von Mathilde.
Ich gehe auf der Stelle zum Haus. Es ist besser, wenn sie es von mir hört und nicht von Georges oder Arnaud. Oder Gretchen, Gott behüte. Aber als ich die Scheune erreiche, habe ich mich schon entschlossen, nichts zu sagen. Wenn ich Mathilde davon erzähle, sieht es doch so aus, als versuchte ich, Gretchen Schwierigkeiten zu machen. Außerdem ist Georges mir ein Rätsel; ich habe keine Ahnung, was er tun wird. Vielleicht ist er an allem, das nicht seine Schweine betrifft, so wenig interessiert, dass er gar nichts sagt.
Also mische ich stattdessen die nächste Wanne Mörtel, rühre wütend den Sand unter den Zement und gebe einen Eimer Wasser hinzu. In meinem Nacken breitet sich Verspannung aus, ich kriege Kopfschmerzen. Trotzdem steige ich auf das Gerüst. Ich bin ohne Begeisterung bei der Arbeit, und der Eimer kommt mir sogar schwerer vor als sonst. Aber ich weiß nicht, was ich sonst tun soll, und ich kann genauso gut die Wand fertig machen, während ich auf die Konsequenzen warte.
Stattdessen passiert etwas anderes. Während ich mechanisch den Mörtel in den Lücken zwischen den Steinen glatt streiche, spüre ich, wie etwas feucht auf meine Wange klatscht. Ich blicke nach oben und sehe, dass der Himmel inzwischen von einem schlammigen Grau ist. Und dann rauscht der Regen nieder und trommelt auf das Gerüst, dass es klingt wie niederregnende Pennys.
Endlich ist der Wetterumschwung da.
LONDON
Ich liege eines Nachmittags auf dem Sofa in meiner Wohnung und schaue
Die Teuflischen
auf DVD , als mein Handy klingelt. Ich habe den Film schon mehrmals gesehen, aber mir war langweilig, und ich hatte vor Dienstbeginn im Zed nichts anderes zu tun. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, irgendwas Konstruktives mit meiner Freizeit anzustellen. Mein Leben wieder in Schwung zu bringen. Aber wie die meisten Sachen scheint das im Moment einfach zu viel Kraft zu kosten. Ich drücke die Pausentaste und gehe ans Telefon. Es ist Callum.
«Sean, ich habe gerade in der Zeitung davon gelesen. Es tut mir wirklich leid, Kumpel. Ich hatte ja keine Ahnung.»
Ich habe Callum schon seit ein paar Wochen nicht mehr gesehen. Nicht mehr seit dem Doppeldate, um genau zu sein. Wir hatten darüber geredet, ein zweites Mal zu viert auszugehen, aber dazu kam es nie. Die Wahrheit ist, dass ich versucht habe, die Verbindungen zu meinem alten Leben zu kappen, obwohl
kappen
vermutlich eine zu aktive Bezeichnung für das ist, was ich getan habe. Es war eher so, dass ich die Freundschaften dem Verfall preisgab und nichts dagegen unternahm.
Ich schaue immer noch auf das erstarrte Schwarz-Weiß-Bild auf dem Fernseher: Simone Signoret beugt sich über die Badewanne mit dem bekleideten Leichnam von Paul Meurisse. Eine großartige Szene. «Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.»
Es ist kurz still in der Leitung. «Du meinst, du hast das mit Chloe nicht gewusst?»
Es steht in der Nachmittagsausgabe vom
London Evening Standard
. Ich habe keine Ausgabe, aber der Bericht steht auch auf der Webseite. Eine kurze Notiz nur, ohne Foto. Vermutlich dachten sie, die Story habe nicht mehr Aufmerksamkeit verdient, oder vielleicht hatten sie keine Zeit, um eins zu suchen, nachdem man Chloes Leichnam aus der Themse gezogen hat.
Eine ehemalige Drogensüchtige, heißt es in dem Bericht. Selbstmord oder Unfall, das weiß man nicht so genau, obwohl auf sie die Beschreibung einer jungen Frau passt, die man beobachtet hat, als sie vor zwei Tagen abends vom Geländer der Waterloo Bridge fiel. Sie muss so zugedröhnt oder betrunken gewesen sein, dass keiner der Augenzeugen sagen konnte, ob sie gestolpert oder gesprungen war. Die Story hat es nur deshalb in die Nachrichten geschafft, weil ihr Leichnam von einer Gruppe Schulkinder beim
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