Der Hof (German Edition)
Spur. «Ich dachte, du hast keine Lust darauf.»
«Die kriege ich schon, versprochen.»
«Hm, also ich …»
Erleichtert schaue ich mich um, als die Tür zum Flur aufgeht und Mathilde mit Michel in die Küche kommt. Als sie uns sieht, scheint sie kurz zu zögern, ehe sie den Raum betritt.
«Ich habe dich gar nicht reinkommen gehört», sagt sie und geht zu dem Hochstuhl.
«Er hat gewartet, damit du ihm die Fäden ziehst», erzählt Gretchen ihr und hält das Huhn unter den Wasserhahn. Das Blut vom abgetrennten Hals rinnt ins Spülbecken.
«Ich kann später wiederkommen», sage ich.
«Das ist schon in Ordnung.» Das Baby windet sich auf ihrem Arm und jammert, als sie versucht, es in den Hochstuhl zu setzen. Sein Gesicht ist rot und verheult. Mathilde wendet sich an ihre Schwester. «Kannst du Michel nehmen, Gretchen?»
«Nein. Ich bin beschäftigt.»
«Bitte. Er will sich nicht in den Stuhl setzen lassen, wenn er zahnt. Ich brauche nicht lange», fügt Mathilde hinzu und versucht, den Kleinen zu beruhigen.
»Er ist dein Sohn, und ich sehe nicht ein, warum ich ihn ständig mit mir herumschleppen soll», grollt Gretchen. Sie trocknet ihre Hände ab und nimmt ihren Neffen auf den Arm.
«Ich ziehe die Fäden im Badezimmer», sagt Mathilde. Sie wendet sich ab, weshalb ihr der wütende Blick entgeht, den Gretchen ihr hinterherwirft.
Ich umrunde den Tisch, weil ich Gretchen nicht zu nahe kommen will, wenn sie so dicht neben einem Hackbeil steht. Ich schließe die Tür hinter uns und folge Mathilde nach oben, wo ich mich auf den Badewannenrand setze, während sie die benötigten Utensilien aus dem Badezimmerschrank holt: eine Pinzette, ein Tellerchen, ein Handtuch. Ich ziehe den Socken aus und präsentiere ihr meinen Fuß in all seiner bleichen Glorie. Die Wunden sind teilweise immer noch verschorft, aber darunter ist auch schon die rosige, neue Haut zu sehen, aus der die Fäden wie Schnurrhaare ragen.
Mathilde kniet vor mir und wischt mit einem in heißem Wasser getränkten Waschlappen über den Fuß, um ihn zu säubern und die Wunden aufzuweichen. Dann breitet sie das Handtuch auf ihrem Schoß aus und zieht meinen Fuß darauf. Es fühlt sich unangenehm intim an.
«Das sollte nicht allzu sehr weh tun.»
Ein Zupfen, mehr nicht. Sie zieht mit der Pinzette an einem Ende eines Fadens. Sobald er gezogen ist, lässt sie ihn auf den Teller fallen und macht mit dem nächsten weiter. Ihre Hände sind sanft und kühl. Ich beobachte sie aufmerksam bei der Arbeit und erinnere mich wieder an ihr impliziertes Angebot. Konzentriert runzelt sie die Stirn, als ein Faden sich gegen ihre Bemühungen wehrt.
«Wie geht es Lulu?», frage ich.
«Keine Veränderung. Der Tierarzt sagt, der Stumpf ist entzündet.»
Ich versuche, Worte zu finden, die nicht nach Platitude klingen, doch es gelingt mir nicht. Mehr als zuvor glaube ich, dass Jean-Claude recht hatte: Mit ihrer Sentimentalität hat Mathilde niemandem einen Gefallen getan. Am wenigsten dem Hund.
«Bist du kürzlich Jean-Claude über den Weg gelaufen?», fragt sie, als könnte sie meine Gedanken lesen.
«Jean-Claude …?»
«Als du in der Stadt warst.»
«Ach so … Ja, er war beim Baustoffhandel.» Ich fühle mich ertappt. «Woher wusstest du das?»
«Du bist ziemlich lange fort gewesen. Ich dachte, dass du vielleicht mit ihm geredet hast.»
Mehr sagt sie nicht. Ich bin nicht sicher, ob das irgendwo hinführt. Aber sie hätte das Thema wohl kaum zur Sprache gebracht, wenn sie nicht gerne darüber reden würde. «Er hat mir erzählt, Louis wird vermisst», sage ich.
Es ist unmöglich, Mathildes Miene zu durchschauen. Als ich sie vorher nach Michels Vater fragte, hat sie lediglich erklärt, sie wüsste nicht, wo er sei. Aber ich habe auch kein Recht, ihr irgendwelche Fragen in der Richtung zu stellen.
Sie schiebt sich eine Haarsträhne hinters Ohr. «Ja.»
«Hast du eine Ahnung, was mit ihm passiert ist?»
Ihr Atem streift meinen Fuß. «Louis sagte, er müsse geschäftlich nach Lyon. Er hat etwas Geld von meinem Vater geliehen und ist verschwunden. Das ist jetzt achtzehn Monate her. Seitdem habe ich nichts von ihm gehört oder gesehen.»
Erneut habe ich das Gefühl, sie erwarte von mir, etwas Bestimmtes zu sagen. «Könnte er nicht einfach das Geld genommen haben und damit verschwunden sein?»
«Das glaube ich nicht. Nicht mehr jedenfalls. Wenn er noch leben würde, hätte er sich inzwischen bei einem von uns gemeldet. Vielleicht nicht unbedingt bei mir, aber
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