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Der Hof (German Edition)

Der Hof (German Edition)

Titel: Der Hof (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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Mathilde. «Bis er wieder zu Kräften gekommen ist.»
    Die Antwort ihres Vaters lässt lange auf sich warten. Er starrt mich an, dann wendet er sich mit einem herablassenden Schnauben ab. «Mach, was du willst. Aber sorge dafür, dass er mir aus den Augen bleibt.»
    Er geht zur Treppe. «Die Laterne», sagt Mathilde. Er zögert, und ich kann sehen, wie er darüber nachdenkt, sie einfach mitzunehmen und uns ohne Licht hierzulassen. Dann stellt er die Lampe auf den Boden und verschwindet ohne ein Wort in der Dunkelheit unter der Galerie.
    Mathilde holt die Laterne und hockt sich neben mich. «Kannst du stehen?»
    Als ich nicht antworte, wiederholt sie die Frage auf Englisch. Ich bleibe immer noch stumm, aber ich beginne, mich hochzuhieven. Ohne Zögern nimmt sie mir den Rucksack von den Schultern.
    «Stütz dich auf mich.»
    Ich will das eigentlich nicht, aber ich habe keine andere Wahl. Unter der dünnen Baumwolle ist ihre Schulter fest und warm. Sie legt einen Arm um meine Taille. Sie reicht mir bis ans Kinn.
    Als wir das untere Ende der Treppe erreichen, taucht Gretchen aus dem Schatten auf. Das Baby hat ein rotes, verweintes Gesicht, aber es schaut sich eher neugierig als verstimmt um.
    «Ich habe dir gesagt, du sollst mit Michel im Haus bleiben», tadelt Mathilde.
    «Ich wollte doch nur helfen.»
    «Ich kriege das schon hin. Bring ihn zurück ins Haus.»
    «Warum soll immer ich auf ihn aufpassen? Er ist dein Baby.»
    «Bitte tu einfach, was ich dir sage.»
    Gretchens Gesicht verhärtet sich. Sie schiebt sich an uns vorbei, und ihre Flipflops schlappen laut und wütend auf den Stufen. Ich spüre Mathildes Seufzen mehr, als dass ich es höre.
    «Komm», sagt sie erschöpft. Sie stützt mich, als wir die Treppe hochsteigen und ich zur Matratze humpele. Es dauert ewig. Ich sinke auf das Lager und bemerke nur am Rande, wie sie nach unten geht. Kurz darauf ist sie wieder da und bringt den Rucksack und die Laterne mit. Sie stellt beides neben das Bett.
    «Dein Vater hat nicht gewusst, dass ich hier bin, stimmt’s?», frage ich. «Du hast es ihm nicht erzählt.»
    Mathilde steht außerhalb des Lichtkreises. Ich kann ihr Gesicht nicht erkennen und weiß darum nicht, ob sie mich ansieht oder nicht.
    «Wir reden morgen darüber», sagt sie schließlich und lässt mich auf dem Dachboden allein.

LONDON
    Der Rucksack schlägt gegen meinen Rücken, als ich zu dem Wagen gehe, der auf der nassen Fahrbahn wartet. Der Motor tickt leise. Es ist ein gelber VW  Käfer, rostig und verbeult, aber im Moment das mit Abstand schönste Auto der Welt, wenn man mich fragt. Es wird schon dunkel, und so langsam wurde mir alles taub, weil ich die letzten zwei Stunden in der Kälte gestanden und die Fahrer verflucht habe, die auf der Fernstraße an mir vorbeibrausten, ohne mich eines Blicks zu würdigen.
    Ich öffne die Beifahrertür und bin überrascht. Die Fahrerin ist ein junges Mädchen.
    «Wohin willst du?», fragt sie.
    «London, aber die nächste Raststätte reicht mir auch», sage ich. Keine Minute länger kann ich hier draußen im bitterkalten Wind stehen.
    «Ich fahre nach Earl’s Court, wenn das okay ist?»
    «Danke, das klingt phantastisch.» Von dort kann ich die U-Bahn nehmen. Ich wohne in Kilburn. Dort habe ich das Gästezimmer von jemandem gemietet, der für einen Monat unterwegs ist. Was danach kommt, weiß ich jetzt noch nicht.
    Aber das ist ein Problem, um das ich mich später kümmern werde. Ich werfe meinen Rucksack neben die große Künstlermappe auf den Rücksitz. Dann setze ich mich. Sie hat das Fenster auf ihrer Seite etwas heruntergekurbelt, aber zum Ausgleich läuft die Heizung.
    «Ich muss das Fenster offen lassen, weil die Auspuffgase hier irgendwo reinströmen», erklärt sie. «Ich wollte es reparieren lassen, aber …» Ihr Schulterzucken heißt irgendwas zwischen «was soll man machen» und «was kümmert’s mich».
    «Ich bin Sean.» Ich muss meine Stimme über das laute Röhren des Motors und das Gebläse der Heizung erheben.
    Sie lächelt mich von der Seite an. «Chloe.»
    Sie ist vielleicht ein oder zwei Jahre jünger als ich. Schlank, mit hellblonden, raspelkurzen Haaren und dunkelblauen Augen. Hübsch.
    «Ist dir jetzt warm genug?», fragt sie. «Wenn ich die Heizung zu lange voll aufdrehe, überhitzt sie.»
    Ich sage, dass ich okay bin. Sie greift zum Armaturenbrett und reguliert die Temperatur. Ihre Hand ist schmal und feingliedrig. Ein dünnes Silberarmband umschließt ihr Handgelenk.
    «Es

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