Der Holcroft-Vertrag - Ludlum, R: Holcroft-Vertrag
sterben ... er hatte ihn aufgefordert, ihn doch zu erschießen, sich geweigert, darüber Auskunft zu geben, wer er war oder woher er kam. Jemand oder etwas, das mächtiger war, mehr wußte als die RACHE oder die ODESSA.
Jemand anders.
Noel sagte Tennyson alles, war erleichtert, daß er es sagen konnte. Und die Art und Weise, wie der blonde Mann ihm zuhörte, steigerte seine Erleichterung noch. Seine grau gesprenkelten Augen ließen Holcrofts Gesicht nie los; sie waren wie an ihm festgeschmiedet, wirkten völlig von ihm absorbiert. Als er fertig war, fühlte sich Noel erschöpft. »Das ist alles, was ich weiß.«
Tennyson nickte. »Endlich sind wir uns begegnet, nicht wahr? Wir mußten beide sagen, was uns beschäftigte. Wir glaubten beide, der andere sei der Feind, und wir haben beide unrecht gehabt. Jetzt gibt es Arbeit für uns.«
»Seit wann wußten Sie über Genf Bescheid?« fragte Holcroft. »Gretchen sagte mir, Sie hätten gesagt, eines Tages werde ein Mann kommen und von einer seltsamen Abmachung sprechen.«
»Seit meiner Kindheit. Meine Mutter erzählte mir von einem riesigen Vermögen, mit dem Wiedergutmachung geleistet werden sollte für die schrecklichen Verbrechen, die im Namen Deutschlands, aber nicht von wahren Deutschen begangen worden waren. Aber nur diese eine Tatsache, keine Einzelheiten.« «
»Dann kennen Sie Erich Kessler nicht.«
»Ich erinnere mich an den Namen, aber nur ganz vage. Ich war damals sehr jung.«
»Sie werden ihn mögen.«
»So wie Sie ihn schildern, bin ich da ganz sicher. Sie sagen, er will seinen Bruder mit nach Genf bringen. Ist das erlaubt?«
»Ja. Ich habe ihm gesagt, daß ich ihn in Berlin anrufe und alles Nähere mit ihm verabrede.«
»Wollen Sie damit nicht bis morgen oder übermorgen warten? Und ihn von Saint-Tropez aus anrufen?«
»Beaumont?«
»Beaumont«, sagte Tennyson, und seine Mundstellung verriet Entschlossenheit. »Ich glaube, wir sollten uns mit unserem schachmatten Schwein treffen. Er hat uns einiges zu sagen. Im einzelnen: Wer war sein letzter Auftraggeber? Wer hat ihn auf den Genfer Bahnhof geschickt? Wer hat ihn dafür bezahlt - oder dazu erpreßt -, Ihnen nach New York und anschließend nach Rio zu folgen? Wenn wir das herausfinden, wissen wir, woher Ihr Mann in der schwarzen Lederjakke kam. «
Jemand anders.
Noel sah auf die Uhr. Es war beinahe sechs; er und Tennyson hatten über zwei Stunden miteinander gesprochen. Und doch gab es noch viel zu sagen. »Wollen Sie mit Ihrer Schwester und mir zu Abend essen?« fragte er.
Tennyson lächelte. »Nein, mein Freund. Wir reden auf unserer Reise nach Süden. Ich habe noch ein paar Telefongespräche zu führen und muß meinen Bericht abliefern. Ich darf nicht vergessen, daß ich Journalist bin. Wo wohnen Sie?«
»Im George Cinq. Unter dem Namen Fresca.«
»Ich rufe Sie am späteren Abend an.« Tennyson streckte ihm die Hand hin. »Bis morgen.«
»Bis morgen.«
»Übrigens, falls Ihnen mein brüderlicher Segen etwas bedeutet, Sie haben ihn.«
Johann von Tiebolt stand in der kühlen Abendluft am Geländer der Terrasse. Unter sich, auf der Straße, konnte er Holcroft das Haus verlassen und in östlicher Richtung weggehen sehen.
Es war alles so einfach gewesen. Er hatte die Instrumentierung seiner Lügensymphonie gründlich durchdacht und arrangiert, und die empörte Überzeugung hatte seinen Vortrag
ebenso glaubwürdig gemacht wie plötzlich dazwischengestreute Enthüllungen. Ein alter Mann in Rio würde informiert werden; er wußte dann, was er zu sagen hatte. Eine Krankenakte würde in ein Londoner Krankenhaus eingeschmuggelt werden, eine Akte, deren Daten und Informationen zu einem tragischen Unfall auf der Untergrundstation von Charing Cross vor fünf Jahren paßten. Und wenn alles planmäßig ablief, dann würden die Abendzeitungen Nachrichten über eine weitere Tragödie enthalten. Ein Marineoffizier und seine Frau waren mit einem kleinen Motorboot vor der Cöte d’Azur verschwunden.
Von Tiebolt lächelte. Alles lief so, wie es vor dreißig Jahren vorhergesehen worden war. Selbst die >Abwehr< konnte sie jetzt nicht mehr aufhalten. Ein paar Tage noch, und die >Abwehr< wäre entmannt.
Die Zeit für den Tinamu war gekommen.
30.
Noel eilte durch die Halle des George V. Er hatte es eilig, auf sein Zimmer zu kommen, zu Helden. Genf war ihm jetzt nähergerückt; und wenn sie Anthony Beaumont in Saint-Tropez sahen und die Wahrheit aus ihm herauszwangen, wäre es noch näher.
Außerdem
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