Der Holcroft-Vertrag - Ludlum, R: Holcroft-Vertrag
Sagen Sie mir alles. Ich schicke ein Telegramm nach London. Halten Sie es für möglich -« Der Botschafter machte eine Pause.
»Ja«, sagte der Generalkonsul mit leiser Stimme. »Ich halte es für sehr möglich, daß er die von Tiebolts sucht.«
»Sagen Sie mir alles«, wiederholte der Mann in Washington. »Die Briten glauben, diese Morde seien das Werk des Tinamu.«
Noel sah sich in der Lounge der Braniff 747 um. Er hatte das Gefühl, das alles schon einmal erlebt zu haben. Die Farben waren greller, die Uniformen der Stewardessen modischer geschnitten. Aber sonst schien das Flugzeug identisch mit dem der British Airways, Flug 591. Der Unterschied lag nur in der Einstellung der Leute. Dies war die Rio-Route, sorglose Ferien, die schon im Flug begannen und dann an den Stränden der Goldküste weitergingen.
Für ihn freilich würden dies keine Ferien werden, dachte Holcroft, alles andere als Ferien. Der einzige Höhepunkt, der ihn erwartete, war eine Entdeckung: wo sich die Familie von Tiebolt aufhielt oder daß sie sich in Luft aufgelöst hatte.
Sie flogen jetzt schon über fünf Stunden. Er hatte sich durch ein langweiliges Essen gepickt, einen noch langweiligeren Film verschlafen und schließlich beschlossen, nach oben zu gehen.
Er hatte es zuerst hinausgeschoben, die Bar in der Lounge aufzusuchen. Die Erinnerung an das Geschehen vor einer Woche belastete ihn noch. Das Unglaubliche war vor seinen Augen geschehen. Ein Mann war ermordet worden, keine zwei Schritte von dort, wo er saß. Er hätte sich vorbeugen und die zuckende Gestalt berühren können. Der Tod war nur
wenige Zentimeter von ihm entfernt gewesen, kein natürlicher Tod, ein chemischer Tod — Mord.
Strychnin . Ein farbloses, kristallines Alkaloid, das unerträgliche Krämpfe erzeugte. Warum war es geschehen? Wer war verantwortlich und aus welchem Grund? Die Berichte in den Zeitungen hatten viele Einzelheiten geliefert, und es gab mehrere Theorien.
Zwei Männer waren in der Bar von Flug 591 aus London in unmittelbarer Nähe des Opfers gewesen. Jeder von ihnen hätte dem Opfer das Gift ins Glas praktizieren können; man nahm an, daß es einer der beiden getan hatte. Aber weshalb? Laut Flughafenpolizei gab es keinerlei Beweise dafür, daß die zwei Männer Thornton gekannt hatten. Und diese — die mutmaßlichen Mörder — wurden ihrerseits vor einem Tanklaster erschossen aufgefunden. Sie waren aus dem Flugzeug verschwunden, aus dem abgeriegelten Zollgebiet, aus dem Untersuchungsraum. Und waren selbst ermordet worden. Warum? Von wem?
Niemand wußte darauf die Antwort. Nur Fragen gab es. Und dann hörten selbst die Fragen auf. Die Story verschwand aus den Zeitungen und Nachrichtensendungen ebenso plötzlich, wie sie dort aufgetaucht war, so als hätte jemand das angeordnet. Wiederum: weshalb? Und wieder: wer war dafür verantwortlich?
»Das war doch Scotch on the Rocks, nicht wahr, Mr. Holcroft?«
Das Gefühl, das alles schon einmal erlebt zu haben, war jetzt vollkommen. Die Worte waren dieselben, aber jemand anders hatte sie gesprochen. Die Stewardeß, die sich über ihn beugte und das Glas auf den runden kunststoffbezogenen Tisch stellte, war attraktiv — so wie die Stewardeß auf Flug 591, und der Ausdruck in ihren Augen war ebenso direkt. Die Worte, selbst die Aussprache seines Namens, klangen ähnlich, nur mit etwas anderem Akzent. Alles ähnelte sich zu sehr . Oder war sein Bewußtsein — seine Augen, seine Ohren, seine Sinne — durch die Erinnerung an das, was vor sieben Tagen geschehen war, vorprogrammiert?
Er dankte der Stewardeß und hatte beinahe Angst, sie anzusehen, dachte, er werde jeden Augenblick einen Schrei
neben sich hören und Zeuge werden, wie ein Mann in unerträglicher Pein aus seinem Sitz gegen den Zeitschriftenständer fiel und zusammenbrach.
Dann bemerkte Noel etwas anderes, und das beunruhigte ihn noch mehr. Er saß auf demselben Sitz wie während jener schrecklichen Augenblicke auf Flug 591. In einem Raum, der dem vor einer Woche glich. Daran war eigentlich nichts Ungewöhnliches; er saß gern in der Lounge. Aber jetzt kam es ihm makaber vor. Dieselbe Umgebung, und auch die Beleuchtung war nicht anders als neulich.
Das war doch Scotch on the Rocks, nicht wahr, Mr. Holcroft?
Eine ausgestreckte Hand, ein hübsches Gesicht, ein Glas.
Bilder, Geräusche.
Geräusche . Heiseres, trunkenes Lachen. Ein Mann, der zu viel Alkohol intus hatte, der sein Gleichgewicht verlor und rücklings über den Sessel fiel. Sein
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