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Der Horizont: Roman (German Edition)

Der Horizont: Roman (German Edition)

Titel: Der Horizont: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Modiano
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waren für sie gewiss unerheblich. Vielleicht musste man sie auf direktere Weise ansprechen. Margaret war genauso wie er, niemals fand sie die Worte, um eine wirkliche Verbindung mit ihnen herzustellen, sie lächelte immer nur oder antwortete auf ihre seltenen Fragen die Kinder betreffend.
    »Und welche Art von Werken findet man in Ihrer Buchhandlung?« fragte die Frau des Professors im Ton reiner Höflichkeit.
    »Oh … vor allem Bände zu okkulten Wissenschaften.«
    »Wir sind nicht sehr bewandert in okkulten Wissenschaften«, sagte die Frau des Professors schulterzuckend.
    Bosmans gab sich einen Ruck.
    »Ich vermute, Sie hatten keine Zeit, sich für okkulte Wissenschaften zu interessieren, als Sie Jura studierten …«
    Und mit zaghafter Geste deutete er zu der Photographie an der Wand, auf der man alle beide sah, jung und in ihren Anwaltsroben.
    »Wir hatten andere Interessenschwerpunkte«, sagte die Frau von Professor Ferne mit ernster Stimme, die Bosmans seine Vertraulichkeit sofort bedauern ließ.
    Ein Schweigen entstand. Nun versuchte Margaret, das Gespräch wieder aufzunehmen.
    »Bald hat André Geburtstag … Ich habe gedacht, dass wir ihm vielleicht einen kleinen Hund schenken könnten …«
    Sie hatte das auf naive und unüberlegte Weise gesagt. Der Professor und seine Frau wirkten so verdutzt, als habe sie ihnen eine Grobheit an den Kopf geworfen.
    »In unserer Familie hat es nie einen Hund gegeben«, erklärte die Anwältin.
    Margaret schlug die Augen nieder, und Bosmans bemerkte, dass sie aus lauter Verlegenheit errötete. Er wollte ihr zu Hilfe kommen. Er fürchtete, seine Kaltblütigkeit zu verlieren und in eine Erregung auszubrechen, die stets überraschte bei diesem Jungen von so imposanter Größe und Statur, doch so zurückhaltendem Benehmen.
    »Mögen Sie keine Hunde?«
    Professor Ferne und seine Frau betrachteten ihn schweigend, als hätten sie seine Frage nicht verstanden.
    »Ein Hund, das würde den Kindern doch sicher Freude machen«, stotterte Margaret.
    »Ich glaube nicht«, sagte die Frau des Professors. »André würde es nicht ertragen, durch einen Hund von seiner Mathematik abgelenkt zu werden.«
    Ihr Gesicht bekam einen strengen Ausdruck, und Bosmans war verblüfft, weil dieses Gesicht mit dem kurzen, brünetten Haar, dem kräftigen Kiefer, den irgendwie schweren Lidern auf einmal so männlich wirkte. Professor Ferne, neben ihr, hatte etwas Zerbrechliches. Seine Blondheit mit dem Rotstich? Sein blasser Teint? Bosmans hatte beobachtet, dass die Rechtsanwältin Suzanne Ferne immer nur mit den Lippen lächelte. Ihre Augen blieben kalt.
    »Vergessen wir diese Hundegeschichte«, sagte der Professor mit seiner sanften Stimme.
    Ja sicher, vergessen wir sie, dachte Bosmans. In dieser nüchternen Wohnung, in dieser Familie, die sich wahrscheinlich seit Generationen dem Recht und der Magistratur widmete und deren Kinder gleichaltrigen Schülern um zwei Jahre voraus waren, gab es keinen Platz für Hunde. Als er merkte, dass die Fernes nun gleich aus dem Salon gehen und Margaret und ihn wie an den anderen Abenden allein zurücklassen würden, sagte er sich, vielleicht müsse er noch einen Versuch unternehmen.
    »Ich möchte Sie um einen Rat bitten.« Und weil er sich Mut machen wollte, blickte er zu dem Photo, auf dem die beiden in ihren schwarzen Roben zu sehen waren.
    Hatten sie ihn wirklich gehört? Seine Stimme war so leise … Sogleich korrigierte er sich:
    »Aber ich will Sie nicht aufhalten … Vielleicht an einem anderen Abend …«
    »Wie Sie möchten«, sagte Professor Ferne. »Ich stehe Ihnen gern zur Verfügung.«
    Er und seine Frau verließen den Salon und lächelten sie an, mit dem gleichen glatten Lächeln.
    »Um was für einen Rat wolltest du sie bitten?« sagte Margaret.
    Er wusste nicht mehr, was er antworten sollte. Ja, was für ein Rat? Der Gedanke, sich an den Professor und seine Frau zu wenden, war ihm wegen dieses Photos von ihnen und wegen der Anwaltsroben gekommen. Eines Tages hatte er sich in die Wandelhalle des Justizpalastes gewagt und die würdevolle und zugleich geschmeidige Art beobachtet, mit der all diese Männer in ihren manchmal sogar hermelinbesetzten Roben einherschritten. Und dann war er als Kind beeindruckt gewesen von dem Photo einer jungen Frau auf der Schwurgerichtsbank, hinter einem dieser Männer in Schwarz. Unter dem Photo stand: »Der Angeklagten zur Seite ihr Verteidiger, der sie mit seiner ganzen Geistesschärfe und seinem väterlichen

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