Der Hort der Waechter
geschaffen worden waren. Da wurden Schlagwerkzeuge geschwungen, die mit silbernen Klingen besetzt waren. Andere wieder sahen aus wie harmlose Stöcke, und allein die Symbole, die in die Schäfte gebrannt waren, ließen sie nicht völlig unscheinbar wirken.
Andere Männer wiederum kämpften gänzlich ohne Waffen, manche sogar, ohne sich auch nur zu bewegen. Dafür schlugen wieder andere sich scheinbar mit unsichtbaren Gegnern. Hiebe aus dem Nichts trafen ihre Körper und ließen sie wie betrunken hintaumeln.
»Sie sind die mächtigste Armee auf Gottes weiter Welt.«
Salvat zuckte leicht zusammen. Er hatte sich dem Anblick dort unten so sehr hingegeben, daß er nicht bemerkt hatte, daß jemand neben ihn getreten war. Auch jetzt warf er nur einen flüchtigen Blick auf den alten Mann, der eine Kutte mit dem verschlungenen Symbol der Illuminati trug. Er reichte dem Ordensführer gerade bis zur Schulter. Sein schütteres Haar glänzte wie Silberfäden auf seinem Haupt.
»Ja, und ihre Macht ist dein Verdienst, Adrien«, sagte Salvat und widmete sich wieder dem Geschehen in der Tiefe.
Er konnte das Lächeln des Alten beinahe hören.
»O nein«, wehrte Adrien ab. »Ich habe ihnen nur den Weg gewiesen. Gehen mußten sie ihn allein. Und es gab genug, die allem Anschein zum Trotz nicht das Zeug dazu hatten.«
Wie von den Worten des alten Mannes heraufbeschworen, tauchte die Gestalt Raphael Baldaccis vor Salvats geistigem Auge auf. Ein bitterer Zug legte sich um seine Mundwinkel. Adrien hatte Salvat seinerzeit gewarnt, Raphael als Gesandten auszuschicken, bevor dieser seine Ausbildung abgeschlossen hatte. Salvat hatte damals nicht auf den weisen Lehrer gehört - und seinen Sohn letztlich in den Tod geschickt .
»Verzeih«, sagte Adrien leise. »Ich wollte nicht ...«
»Ich weiß.«
Eine Weile sahen sie beide schweigend dem Kampftraining zu.
»Ich habe dafür gebetet, daß wir sie nie wirklich in den Kampf schicken müssen«, brach Adrien schließlich das Schweigen, ehe es zu einer trennenden Mauer zwischen ihnen werden konnte.
Salvat seufzte schwer. »Deine Gebete wurden nicht erhört, Adri-en.«
Die Hand des Lehrmeisters packte Salvat an der Schulter und riß ihn fast herum.
»Was sagst du ...?« entfuhr es dem Alten erschrocken.
Salvat nickte nur. »Du weißt, wovon ich spreche.«
»Dann ist der Tag also nahe ...«, flüsterte Adrien. Sein Blick schien durch Salvat hindurchzugehen, und dort wiederum schien er Dinge zu sehen, die ihn schlicht entsetzten.
»Nicht nahe«, verbesserte Salvat. Und nach einer wohlgesetzten Pause: »Er ist gekommen !«
Die immer noch kräftige Hand des Alten abstreifend, die sich in seine Schulter gekrallt hatte, wandte Salvat sich wieder um. Noch einmal streifte sein düsterer Blick jeden einzelnen Mann in der Trainingsarena, die ihn an jene des unseligen Kolosseums in Rom erinnerte. Wo man morgens den Löwen und Bären Menschen zum Fraß vorgeworfen hatte, so hatte sein alter Freund Seneca es damals beschrieben, und mittags Menschen ihren unmenschlichen Zuschauern ...
Salvat straffte sich, dann erhob er die Stimme. Er rief nicht sonderlich laut, aber das eine Wort hatte doch genug Macht, um alles andere zu übertönen.
»Brüder!«
Das Szenario unterhalb der Felsgalerie schien einzufrieren. Dann kam wieder zaghafte Bewegung hinein, als die Männer fast synchron zu Salvat aufsahen.
Morituri salutant! ging es ihm schmerzhaft durch den Sinn. Die Todgeweihten grüßen dich ...
Über den Felsendom senkte sich vollkommene Stille, in der selbst das Rascheln des Kuttenstoffs überlaut klang, als Salvat wie beschwörend die Arme hob; nur um sie gleich wieder sinken zu lassen. Theatralik war nicht seine Sache.
Der Führer der Illuminati sah schweigend zu den Begabten hinab, während er stumm nach Worten suchte. Daß er sie nicht parat hatte, bewies ihm nur, daß er gehofft hatte, nie einen Grund zu haben, sie an die versammelte Bruderschaft richten zu müssen. Und allein sein Schweigen mußte den Ordensbrüdern schon Zeichen sein, daß ihrer aller Hoffnung sich nicht erfüllen würde .
Salvat wollte von Angst reden, die selbst er verspürte, und daß niemand sich seiner Furcht schämen müßte. Doch das hätte geheißen, die Moral der Truppen (er haßte allein dieses Wort!) zu untergraben.
Er hätte vom Wohl der Menschheit sprechen können, für das es sich zu sterben lohnte. Aber es wäre eine Lüge gewesen, die ihm vielleicht nicht einmal von den Lippen gekommen wäre.
Und so
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