Der Hort der Waechter
sie nicht genügen würden, um die Folgen des schweren Sturzes auszugleichen. Hätte Lilith sich das Genick gebrochen bei dem Aufprall, wäre alles vorüber gewesen.
So aber sah Hidden Moon noch eine Chance. Er wußte nicht, ob er nach der kräfteraubenden »Reise« im Strom des fremden Geistes noch genug Energie aufbringen konnte, aber er zögerte nicht.
Seine Hände berührten Lilith. Selbst dieses sanfte Anfassen mußte ihren Schmerz wecken. Obwohl sie ohne Besinnung war, wehte ein gepeinigtes Stöhnen von ihren Lippen.
Wie schon einmal sandte Hidden Moon von seiner eigenen Kraft in Lilith, weniger diesmal, aber zielgerichteter. Er suchte und fand jenen Teil ihrer Energie, der für die Wiederherstellung verantwortlich war, und unterstützte ihn mit seiner Kraft.
Eine Weile geschah nichts. Eine lange Weile .
Hidden Moons Anspannung ließ nach, als er sich kaum mehr konzentrieren konnte. Die Narben seines eigenen Geistes waren noch nicht verheilt, und der davon ausgehende Schmerz ließ sich nicht länger ignorieren. Resignierend wollte er sich aus Lilith zurückziehen - als ein feines Knirschen sein Ohr erreichte!
Er öffnete die Augen und sah -
- wie Liliths gebrochener Arm sich bewegte!
Wie von Geisterhänden gerichtet, glitt er über den Fels, bis er in natürlicher Haltung dalag und die Bruchstellen des Knochens sich aneinanderfügten, während die Wunde darum sich schloß und neue Haut den Blick auf Sehnen, Aderwerk und Fleisch verwehrte.
Ähnliches geschah mit Liliths ganzem Körper. An vielen Stellen zugleich schienen unsichtbare Chirurgen am Werk zu sein, die die gröbste Arbeit taten, um dann Wunderheilern Platz zu machen.
Dennoch dauerte es lange, bis zumindest Liliths körperliche Unversehrtheit wiederhergestellt war. Denn die Augen öffnete sie auch dann nicht wieder.
Hidden Moon wußte, wie er dazu beitragen konnte, damit sie es tat. Vielleicht tat ...
Wäre Lilith bei Bewußtsein gewesen, hätte sie es ihm vielleicht verboten. So aber griff der Arapaho nach einem scharfkantigen Felssplitter, setzte ihn an seine Pulsader - und schnitt sie auf!
Schwarzes Blut quoll aus der Wunde. Noch bevor es sich zu einem Rinnsal sammeln und herablaufen konnte, brachte Hidden Moon sein Handgelenk dicht an Liliths Mund und ließ die schwarze Flüssigkeit, die zäher war als menschliches Blut und vor allem kalt, zwischen ihre Lippen tropfen, die er mit der anderen Hand vorsichtig auseinanderschob.
Seit Lilith zurückgekehrt war vom Anfang der Zeit, wo sie ihre vorgegebene Bestimmung erfüllt hatte - nämlich die Ur-Lilith, Adams erstes Weib und Mutter der Alten Rasse, mit dem Allmächtigen auszusöhnen -, nährte sie sich nicht mehr vom Lebenssaft der Menschen. Schwarzes Blut war zu ihrem Elixier geworden. Gott selbst hatte Lilith dazu verdammt, um sie anzuspornen, ihre neue Aufgabe zu erfüllen. Und die hieß, alle Vampire, die von der Seuche verschont wurden, zu vernichten.
So hätte sie eigentlich auch Hidden Moon töten müssen. Aber sie hatte es nicht getan und würde es nicht tun. Weil der Arapaho wie auch seine Brüder und Schwestern im Blute anders war - und weil sie ihn liebte .
Manches Mal mußte die Versuchung, es all dem zum Trotz doch zu tun, gewaltig sein, wie Hidden Moon wußte. Denn der Durst nach vampirischem Blut war nicht so leicht zu stillen wie der nach menschlichem. Ein Vampir bereitete denen, die ihm ans Leder wollten, ärgere Probleme - wenn er erst einmal gefunden war. Die Ader des Arapaho hatte Lilith dennoch verschont, weil ihr Biß einen Keim übertrug, der das schwarzblütige Opfer gefügig machte, seinen Willen brach und zu ihrem Werkzeug degradierte. Und dieses Schicksal wollte sie ihrem Gefährten nicht zuteil werden lassen.
Nach einer Weile ließ Hidden Moon zu, daß die Wunde an seinem Gelenk sich schloß und der schwarze Fluß versiegte. Im rechten Moment, wie es schien - - denn Lilith schlug die Augen auf!
Nicht langsam und zögerlich, sondern so ruckartig, als schnellten ihre Lider nach oben.
Hidden Moon zuckte zurück, erschrocken nicht nur über die Plötzlichkeit, in der Lilith erwachte, sondern auch ob des Erschreckens, das er in ihren Augen las.
»Landru ...!«
Das Wort kam nur als leiser Ruf über ihre Lippen, aber Hidden Moon entging das Entsetzen darin nicht.
»Was?« entfuhr es ihm.
»Ich ...«, setzte sie an und vollendete den Satz dann unzweifelhaft anders, als sie es ursprünglich gewollt hatte: »... nichts. Ich muß mich geirrt haben. Ein Traum
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