Der Hügel des Windes
den Kopf in den Sarg und wandte sich mit erhobener Stimme an ihren Mann, voller Verzweiflung, doch ohne Tränen nun, hielt sich dasGesicht, ohne sich zu kratzen, küsste ihn zärtlich auf die Lippen: »Da schau, dein Michelangelo ist hier, Schatz, von Catanzaro ist er gerannt gekommen, dir zu Ehren. Siehst du ihn? Er ist hier bei dir, ist er nicht groß geworden, siehst du, wie ähnlich er dir ist? Er ist genauso gescheit wie du und hat deine Willenskraft, die Berge versetzt.«
Ninabella trat zur Nonna, um sie zu trösten, und die Alte begann auch sie zu lobpreisen, vor dem Ehemann, für ihren schönen Namen und ihre Haltung einer Prinzessin, eine Malerin, wie man sie selbst in Venedig und auf dem Mond vergeblich suchte, die den Großvater aus seiner Trübsal errettet hatte, welche ihn fast dahingerafft hätte beim Gedanken an die gefallenen oder vermissten Söhne. Und überhaupt, alle hatten ihren Mann geliebt, o große Freude, ihren König vom Rossarco, und wirklich schien es der Begräbnistag eines Königs zu sein, ganz Spillace war da und alle aus San Nicola und sogar Leute aus Pallagorio und Marina, die Kumpel aus der Mine, die noch lebten, Freunde der Kinder und die Musiker waren da, ja, die ganze Welt, alle waren da, um ihn ins Paradies zu geleiten, zum heiligen Antonius und der heiligen Vennera, zu unseren Söhnen Michele und Angelo, die dich in ihre Arme schließen werden. Mach die Augen auf, Albè, mach sie nur kurz auf und schau dir all die Leute an, die gekommen sind, dir zu Ehren. Mach deine schönen Augen auf, denn wenn du mich ansahst, schmolz mein Herz dahin, mach sie auf. Schon als Kinder haben wir uns geliebt, so jung waren wir, hatten nichts als unsere Träume, du bist in den Stollen gegangen und hast nach Schwefel gestunken, ich habe dir den Rücken mit Seife geschrubbt, mein Schatz, am nächsten Tag gingen wir auf den Hügel, um seinen Duft zu atmen, um frohgemut für unsere Kinder und die Zukunft zuackern. Wir haben geschuftet und nichts und niemanden gefürchtet, so wie du es wolltest. Mach die Augen auf, Albè, und schau mich ein letztes Mal an, dann schlafe für immer, mein Schatz für die Ewigkeit.
In das mit Menschen gefüllte Zimmer tönte dumpfes Glockengeläut. Danach kam der Pfarrer. Sofia sackte ergeben zusammen, als habe man ihr eine Gewehrkugel ins Herz geschossen. Aus ihrem Mund brach eine unartikulierte Klage, die das ganze Begräbnis über anhielt.
Eine wahre Flut von Leuten begleitete den Trauerzug, Freunde, Verwandte, Auswärtige, Bekannte, sogar Feinde wie Don Lico und seine Schergen. Arturo hatte sich gewünscht, dass die Musikkapelle von Spillace spielte, und zum Schlussgesang nach der Messe erklang ein merkwürdiger Trauermarsch, den – obwohl er gekonnt verfremdet war – viele voll Rührung wiedererkannten: die Hymne der Arbeiter.
19
Sie trafen sich im Schloss der Sabatini, nahe der Bahnstation von Cirò, denn Paolo Orsi fehlte es an Kraft, bis nach Spillace hinaufzusteigen, wie er auf der Postkarte geschrieben hatte, mit der das Treffen vereinbart worden war.
Die drei Frauen trugen Schwarz, Vater und Sohn hatten die Trauerkrawatte umgebunden, sie bewegten sich wie verschreckte, misstrauische Eidechsen, flitzten in ruckartigen Bewegungen zum Tisch im Salon, die hin und her schnellenden Köpfe ganz benommen vom Funkeln der Möbel.
Mit unsicheren Schrittchen und auf den Gehstock gestützt, war der Professor ihnen auf den Terrakottafliesen entgegengekommen. Er hatte sie nicht sofort wiedererkannt. Neben ihm stand ein jüngerer Mann, der Restaurator Giuseppe D’Amico, immer bereit, ihm bei Bedarf helfend beizuspringen.
Als er von Albertos Tod erfuhr, bekundete Paolo Orsi den Arcuris mit einem Händedruck sein Beileid. »Er war ein guter und würdevoller Mann, der sehr an seiner Familie und seinem Land hing. Ich erinnere mich noch gut an ihn ... auch wenn wir uns nur einmal gesehen haben ... an dem Tag, als ich am Hang des Piloru Krimisa erahnte. Mit ihm teilte ich den denkwürdigen Anblick einer Albino-Schwalbe ... und vielleicht war es kein Zufall, dass sie ausgerechnet uns erschienen ist, dort am Himmel über dem Rossarco ...«, sagte er und stolperte vor Rührung fast über seine Worte.
»Mein Vater war es, der die Münzen gefunden hat und vorschlug, uns an Euch zu wenden«, mischte Arturo sich ein. Dann machte er der Mutter ein Zeichen, die wie durch Zauberhand aus ihrem üppigen Dekolleté ein dreimal verknotetes Leinentüchlein hervorzog und es unter
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